Berliner SPD-Chef will bürgerlich werden

■ Fraktions- und Parteichef Ditmar Staffelt tritt von allen Ämtern zurück / Chancen für Ingrid Stahmer als neue SPD-Spitzenkandidatin steigen

Berlin (taz) – Die krisengeschüttelte Berliner SPD ist wieder einmal kopflos. Nach tagelangem Schweigen gab der SPD- Partei- und Fraktionsvorsitzende Ditmar Staffelt gestern abend bekannt, daß er beide Ämter niederlegen und auch nicht als Spitzenkandidat für die nächsten Wahlen im Oktober 1995 zur Verfügung stehen werde. Mit der Ankündigung von Sozialsenatorin Ingrid Stahmer, sie wolle gegen Staffelt als Spitzenkandidatin antreten, habe seine Entscheidung nichts zu tun, beteuerte er. „Ich habe mich schon seit längerem mit dem Gedanken getragen, nicht mehr hauptamtlich politisch zu arbeiten“, erklärte er. Er habe bis nach der Bundestagswahl und dem Ende der Herbstferien warten wollen, um seine Entscheidung zuerst den zuständigen Gremien mitzuteilen.

Bis zur Wahl eines neuen Landesvorsitzenden am 5. Februar 1995 soll der Reinickendorfer Bezirksbürgermeister Horst Dzembritzki die Parteigeschäfte kommissarisch verwalten. Sein Amt als Fraktionsvorsitzender will Staffelt nach der Verabschiedung des Doppelhaushalts 1995/96 im Dezember aufgeben und lediglich sein Mandat im Parlament behalten. In „stärkerem Maße“ wolle er sich jetzt einem „bürgerlichen Beruf“ zuwenden – welchem, wollte der promovierte Politologe aber nicht verraten.

Der 45jährige gebürtige Neuköllner gilt als typischer Parteisoldat. 1989 trat er die Nachfolge Walter Mompers als Fraktionschef an und übte sich im Krisenmanagement der rot-grünen Koalition, im Oktober 1992 wurde er auch Parteivorsitzender. Staffelt, der zum linken Flügel zählt, gilt als Mann des Ausgleichs und schaffte es immerhin, eine gewisse Zeit die zerstrittenen Lager zusammenzuführen. Spätestens seit seinem unglücklichen Agieren während der Heckelmann-Affäre war er jedoch schwer angeschlagen.

Für Sozialsenatorin Ingrid Stahmer dürften jetzt die Chancen als Spitzenkandidatin unverhofft steigen. Erstmals will die Berliner SPD ihr Zugpferd durch eine Urwahl küren. Die 54jährige Sozialpolitikerin braucht zunächst die Unterstützung eines Bezirks oder die Unterschriften von zwei Prozent der 24.500 Mitglieder der SPD (490) – eine Hürde, die sie mit Leichtigkeit meistern wird. Sollte sie tatsächlich gewählt werden, ist die Führungsschwäche der Berliner SPD jedoch keineswegs gelöst. Derzeit ist niemand in Sicht, der den Fraktionsvorsitz übernehmen könnte. Kordula Doerfler