Liberale gegen die Vollkasko-Mentalität

■ Interview mit dem hessischen FDP-Vorsitzenden Wolfgang Gerhardt

taz: Ihre Parteifreunde in Berlin glauben, daß die Zukunft der FDP „rechts von der Mitte“ liegt.

Wolfgang Gerhardt: Das ist doch alte Gesäßgeographie. Die FDP hat ein Publikum, das auf Selbstverantwortung, Leistungsbereitschaft, Privatisierung, Technologiepolitik und Begabtenförderung setzt. Dieses Potential muß die FDP an sich binden können.

Wo muß man die Liberalen im heutigen Parteienspektrum positionieren?

Dies wird sich nach einer programmatischen Positionierung ergeben. Für eindeutig falsch an dem Berliner Papier halte ich den dort festgeschriebenen europapolitischen Ansatz. Deutschland muß vertragstreu bleiben und darf nicht aus den bestehenden Bündnissen aussteigen.

Haben Ihre Parteifreunde in Berlin nicht recht, wenn sie sagen, daß die FDP als linksliberale Kraft keine Chance mehr hat? Die linksliberale Kraft sind doch längst die Bündnisgrünen.

Das könnte man so sehen. Doch bei den Grünen hat sich der ursprünglich ungebändigte Freiheitsdrang in der Übernahme der sozialdemokratischen Verteilungspolitik erschöpft, und das hat mit Freiheit nichts mehr zu tun.

Glauben Sie nicht, daß der FDP noch mehr Wähler davonlaufen, wenn sie sich um eine klare Position herumdrückt?

Ich sehe gute Chancen für die FDP, wenn es uns gelingt, im Kampf gegen die Verteilungsmentalität eindeutig Position zu beziehen. Im Gegensatz zu allen anderen Parteien ist die FDP doch die einzige politische Kraft, die sich eindeutig gegen die Vollkasko- Versicherungsmentalität wendet.

Will die FDP jetzt – wie im Berliner Papier festgeschrieben – den Großen Lauschangriff einführen? Und wie steht sie zur doppelten Staatsbürgerschaft?

Beim Großen Lauschangriff bleibt es bei den Mehrheitsbeschlüssen der Partei: Sicherung des grundgesetzlich geschützten Gutes der Wohnung. Bei der doppelten Staatsbürgerschaft wollen wir dafür sorgen, daß der Zugang erleichtert wird. Um hier Mißverständnissen vorzubeugen, die doppelte Staatsbürgerschaft soll nicht zur Regel werden.

Geht es, wie Cornelia Schmalz- Jacobsen befürchtet, mit der neuen FDP in Richtung Haider und FPÖ?

Nein. Von der FDP müssen Modernitätssignale ausgehen. Ich habe überhaupt kein Interesse daran, daß die FDP sich in Richtung FPÖ entwickelt. Wir setzen hier in Deutschand nicht auf Populismus à la Haider.

Interview:

Klaus-Peter Klingelschmitt