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Rassenhaß im Dreisatz

■ Die Ausstellung „Heimat, deine Schrecken“ macht Bremer Geschichte lebendig: Die Schule als Ort nationaler Erziehungsziele

„Guck mal, Else, das war doch unser Weg zum Bunker!“ Ein paar ältere Damen beugen sich über die Karte von Gröpelingen. Ein paar Schritte weiter schütteln ältere Herren die Köpfe über die letzten Kriegstage, deren Bomben sie, damals noch 7-, 13- oder 16jährig, lebendig entkommen konnten. „Tja, das ist jetzt Geschichte.“

Die protzigen Räume der Sparkasse am Brill stehen in denkwürdigem Gegensatz zum Thema der Ausstellung „Heimat, deine Schrecken – Schule und Schulpflicht im Zweiten Weltkrieg“, die gestern ebendort feierlich eröffnet wurde. Unter Stuck und Börsenschildern dämmern die Notbetten eines Bunkers, in Spiegeln wiederholen sich die Requisiten der nationalsozialistischen Erziehung. Teppiche dämpfen den Marschtritt jener Zeit, der dem Gros des Publikums wahrscheinlich noch in den Ohren klingt: Die meisten der etwa 200 EröffnungsbesucherInnen sind um die 60 Jahre alt, ZeitzeugInnen also.

Piepmätze, Schuldötze waren sie, als in der Nacht zum 18. Mai 1940 die ersten Bomben auf Bremen fielen. Die meisten Eltern fügten sich den Anweisungen führender Vertreter der Partei, den Kriegsnachwuchs unter dem offiziellen Etikett der Erholung ins geschützte Sachsen zu transportieren. Fand die Kinderlandverschickung von 1941 bis 1943 noch freiwillig statt, ordneten die Behörden nach den schweren Bombardierungen Hamburgs auch in Bremen die zwangsweise Evakuierung der gesamten Schuljugend und LehrerInnen an. 1944 wurden die Kinder in Sachsen von den Bomben eingeholt, und sie kehrten in die Hansestadt zurück. Auch die, die das Glück hatten, nicht als Flakhelfer rekrutiert zu werden, waren erneut heftigsten Bombardierungen ausgesetzt. Die, die nicht starben, konnten ab September 1945 wieder regelmäßig die Schulen besuchen.

Entsprechend der Methoden der „oral history“ wertete Sylvelin Wissmann, freie Mitarbeiterin der Schulgeschichtlichen Sammlung Bremen und Organisatorin der Ausstellung, die Lebensprotokolle der Ex-SchülerInnen un LehrerInnen aus. „Ihre Erinnerungen“, so die Historikerin, „waren wie aufgestaut, sie wußten unglaublich detailliert zu berichten.“ So gelang es, die „psychologisch sehr raffinierten Erziehungsmaßnahmen im Nationalsozialismus“ aufzuschlüsseln, der sich, so Wissmann, „nicht nur in die Schule einschlich, sondern in die Menschen“.

Offizielle Schreiben, Briefe, Fotos, Zeugnisse, Lehrpläne, Schulbücher und Hefte machen einen Prozeß sichtbar, der in dieser Form selbst für die Historikerin unerwartet war. „Verblüffend für mich war, wie offen der Nationalsozialismus seine Ziele in der Schule zeigte. Ich hab immer gedacht, die sind alle so reingetappt. Aber nein, von Anfang an wurde alles klar gesagt, ist überhaupt nichts verborgen worden, weder die Kriegsbereitschaft als Erziehungsziel, noch die Opferbereitschaft, noch das Nationalgefühl.“

Selbst die Vernichtung bestimmter Menschen wurde direkt in Schulbüchern propagiert: Eine Stelltafel zeichnet das „minderwertige Erbgut der Familie Zero“ nach, die von „Alkoholikern, Geisteskranken, Idioten, Verbrechern und Landstreichern“ durchsetzt dargestellt wird. Lebenskundebücher bezeichnen die Juden als „minderwertige Rasse“, das Mathematikbuch stellt Dreisatzaufgaben, bei denen der prozentuale Anteil der Juden am Gesamtbestand der Abgeordneten und Theaterleiter im Jahr 1930 zu errechnen war.

Daß dieses Schulmaterial rassistisch ist, „das haben wir überhaupt nicht gemerkt“, versichern übereinstimmend Ex-SchülerInnen. Und die Eltern? „Die mußten das ja so hinnehmen.“ Sicher sehe man das heute anders, aber das sei schließlich leicht, „im Nachhinein ist man immer klüger“.

Über die Ausstellung könnten sie diese Klugheit weitergeben, doch die Jugend scheint davon nicht viel wissen zu wollen. Ausstellungsmacherin Sylvelin Wissmann registriert „eine gewisse Müdigkeit“ bei jungen Menschen, sich mit diesem Teil jüngerer deutscher Geschichte auseinanderzusetzen.

Aber auch die Älteren drücken sich gern. So erwähnte Sparkassenchef Rebers in seiner Eröffnungsrede mit keinem Wort die offensichtliche Involviertheit auch seines Unternehmens in die Ziele der faschistischen Ära. 1941 etwa gab die Sparkasse als Werbegeschenk eine Ahnentafel aus, die, nachzulesen in der Ausstellung, eine völkische Blut- und-Boden-Ideologie vertritt.

Geschichte erlebbar machen, lautete das oberste Prinzip, unter dem die MitarbeiterInnen aus Staatsarchiv und Schulgeschichtlicher Sammlung insgesamt sechs Ausstellungen zu der Reihe „150 Jahre Schulpflicht in Bremen“ zusammenstellten. Das ist ganz offensichtlich gelungen. Dora Hartmann

„Heimat, deine Schrecken“ ist noch bis zum 25.11. zu sehen.

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