Sachschaden am präsidialen Wandputz Von Andrea Böhm

Man muß ihre Gelassenheit schon bewundern. Da nimmt innerhalb weniger Wochen zum zweiten Mal einer das Weiße Haus mit Flugobjekten ins Visier – und die Nation verfolgt das Ereignis zwar interessiert, aber unerschüttert. Als ob es neben Erdbeben in Kalifornien, Hurrikans in Florida und dem Übertreten des Mississippi halt auch zum Leben gehört, daß einer im Kamikazestil sein Flugzeug in den Wohnsitz des Präsidenten steuert oder die Hausfassade mit einem semiautomatischen Gewehr unter Beschuß nimmt. Von Bill Clinton erfährt man dann nur, daß ihn der Lärm im Schlaf oder beim Fernsehen gestört hat. Im übrigen sei die Inflationsrate weiterhin unter Kontrolle.

Zu dieser Nonchalance mag beitragen, daß die beiden jüngsten Angriffe auf das Weiße Haus nicht durch Mord-, sondern Selbstmordabsichten motiviert waren. Der Pilot, der vor sechs Wochen seine Cessna ins Erdgeschoß des Weißen Hauses setzte und dabei ums Leben kam, hatte offensichtlich keinen Anschlag auf Bill Clinton, sondern lediglich einen spektakulären Suizid im Sinn.

Der 26jährige Hotelangestellte Francisco Duran, der da letzten Samstag das Magazin seines Gewehres leer schoß, wollte offenbar die Sicherheitsbeamten dazu bringen, ihn zu erschießen. Ein paar Touristen waren schneller und überwältigten ihn, als er gerade nachladen wollte. Jetzt erwartet ihn eine Anklage wegen „Beschädigung von Bundeseigentum“. Da er schon vorbestraft ist, kommt der Tatbestand des unerlaubten Waffenbesitzes hinzu.

Das Gewehr hat er trotzdem umstandslos erworben, was den Präsidenten zu ein paar zusätzlichen Gedanken in Sachen Waffenkontrolle veranlaßt haben dürfte. Bekanntermaßen sind unter den rund 250 Millionen US-Bürgern rund 200 Millionen Schußwaffen verteilt. Pläne, das Weiße Haus unter ein gigantisches Papstmobil zu stellen, haben sich als unrealistisch erwiesen. Und da in den USA jeder Mensch bis auf ein paar Meter an die Unterkunft seines Präsidenten herantreten darf, ohne von einem Sicherheitsbeamten belästigt zu werden, dürfte dies nicht der letzte Sachschaden am präsidialen Wandputz gewesen sein. Den Import des Modells chinesischer Bauart, das Duran am Samstag benutzte, hat der Kongreß inzwischen zwar ebenso verboten wie den Verkauf mehrerer anderer semiautomatischer Waffen. Doch der Besitz ist weiterhin erlaubt – und in Kaufhäusern oder Waffengeschäften gibt es weiterhin reichlich Auswahl an Schießgerät. Die große Anzahl von Schußwaffen in Amerikas Straßen beunruhige den Präsidenten, ließ die Pressestelle des Weißen Hauses verlauten, während die Beamten des Secret Service draußen auf Knien herumkrochen und nach Kugeln und Patronenhülsen suchten. Seine Besorgnis sollte Bill Clinton etwas nachdrücklicher einigen Parteigenossen vermitteln, die sich derzeit in Wahlkampfspots mit dem Gewehr in der Hand am Schießstand abfilmen lassen – aus Angst, die Propaganda der Waffenlobby könnte sie zu viele Stimmen kosten.

Die hat gerade in Catron County, einer Gemeinde in New Mexico, einen 100prozentigen Sieg errungen. Dort schreibt nämlich seit einigen Monaten ein Gesetz allen Einwohnern vor, eine Schußwaffe zu besitzen.