"Ganz oben ist bei den Profis"

■ Profiboxen boomt, die Amateure aber hocken neuerdings ratlos in ihrer Ecke: Manfred Wolke, Trainer von Profi-Weltmeister Henry Maske, über die marktwirtschaftlichen Gesetze im deutschen Boxen

Manfred Wolke (51) hat für Experten beträchtlichen Anteil am Erfolg seines Schülers, des Profiweltmeisters Henry Maske. Der frühere NVA-Offizier aus Frankfurt (Oder) hat seine Lektion Marktwirtschaft schnell gelernt. Den immer noch den alten Zeiten nachhängenden DABV-Amateurfunktionären aus dem Westen erklärt er die neue Zeit: „Amateur, Olympiasieger ist eine sehr schöne Sache, aber das sind Zwischenstationen“, sagt der Olympiasieger von Mexiko. Aber: „Ganz oben ist jetzt bei den Profis.“

taz: Wenn Maske boxt, sind die Hallen voll. Bei den Amateur- Meisterschaften am Wochenende kam keiner. Nun rätselt man dort: Muß der Kopfschutz wieder weg? Braucht man neue Wettkampfformen?

Wolke: Wissen Sie, die Problematik ist die: Ob man mit oder ohne Kopfschutz boxt, ist nicht so entscheidend. Entscheidend ist, daß das Boxen interessant gestaltet wird. Das hängt auch von der Art zu boxen ab. Als ich vor vier, fünf Jahren mit Henry Maske ins Profilager gegangen bin, hat mich ganz Deutschland gewarnt: Das ist kein Profi, der boxt die Hallen leer. Ich habe die Zeitungsartikel noch.

Nun haben Sie die sonnige Seite komplett, und der Amateursport hat ein gewaltiges Imageproblem?

Ach ja, zunächst muß die Stellung des Sports geklärt sein. Amateursport ist nun mal Amateursport, da kommt man nicht dran vorbei. Es wird sich in Deutschland auch fortsetzen, daß der Amateursport nach hinten gehen wird. Es ist ja Gott sei Dank so, daß immer mehr Boxeleven heute ein Henry Maske werden wollen.

Aber damit es soweit kommen kann, braucht man doch den Amateurboxsport.

Das hat doch nichts damit zu tun. Der soll auch weiter gefördert und entwickelt werden. Aber der große Sport, der Spitzensport, wird jetzt bei den Profis liegen. Das hat mich auch veranlaßt, 1989/90 den Schritt zu tun. Ein jugendlicher Sportler, ein gestandener Amateur, der hat nun mal die Vorstellung, ganz nach oben zu wollen. Und ganz nach oben ist eben bei den Profis. Da kommt man nicht dran vorbei. Amateur, Olympiasieger ist eine sehr schöne Sache, aber das sind Zwischenstationen, mehr darf man darin nicht sehen.

Der verunsicherte DABV denkt sogar daran, das vermeintlich imageschädliche Wort Amateur zu tilgen.

Warum soll man das an einem Begriff festmachen? Das hat damit nichts zu tun. Mir haben sie früher alles vorschreiben wollen, was ich tun soll – ich habe überhaupt nichts gemacht und habe mich durchgesetzt. Es geht darum, ein Konzept, eine Vorstellung von der Arbeit zu haben. Wenn Leistung angeboten wird, kippt auch alles andere um.

Hat der DABV das ostdeutsche Weltklasse-Boxen in den letzten fünf Jahren gut verwaltet?

Das würde ich nicht sagen. Der DABV hat in vielen Dingen nicht so gehandelt, daß man sagen könnte, hier ist der beste Weg gegangen worden, um die sportliche Entwicklung des Verbandes abzusichern. Ich möchte mich aber nicht auf diesen Kleinkrieg einlassen. Aber da sind sicher viele Dinge gemacht worden, die leistungsmindernd sind. Gegen so etwas habe ich mich früher gesträubt – heimlich zu DDR-Zeiten dagegen gesträubt. Ich bin ein Besessener. Ich habe diese Besessenheit in der Halle und das Vermögen, sie auf meine Leute zu übertragen.

Deuten Sie den Begriff Amateur positiv?

Entschuldigen Sie, ich komme von den Amateuren. Meine Leute sind Amateure gewesen. Nein, da muß man stolz...

Der DABV-Sportwart will das Wort schleunigst abschaffen.

Das ist doch kompletter Schwachsinn. Der Amateursport ist jetzt vom Profisport überholt worden. Aber das ist völlig normal. Fragt denn einer nach dem Amateurfußball?

Wenige.

Kein Mensch.

Nun waren es aber die Amateure, die den Dialog mit den Profis abgebrochen haben.

Das ist von seiten des Amateur- Boxverbandes sehr kurz gedacht. Mir tun die Leute sehr leid. Wirklich leid. Die sind an eine völlig andere Situation gewöhnt. Aber das ist nun einmal so im Leben. Man muß begreifen, daß es eine andere Entwicklung gegeben hat. Wir mußten uns in der DDR auch damit befassen, daß die Situation plötzlich völlig anders war.

Leiden müssen die Aktiven?

Hundertprozentig. Wir haben genügend Talente, um viele Profis zu machen, sie müssen nur richtig entwickelt werden. Darum habe ich vor einem dreiviertel Jahr so einen jungen Mann wie den Rüdiger May zu mir genommen. Um zu zeigen, daß es geht, ein Talent zu übernehmen und zu entwickeln. Warum soll es nicht einen Boris Becker im Boxen geben? Das ist doch schön, wenn jemand mit 22, 23 in Deutschland schon dicke da ist und über zehn Jahre die Leistung bringen kann. Darum geht's.

Man macht aber nicht mit Hilfe, sondern trotz des DABV gute Profis.

Trotz würde ich nicht sagen. Diese Konfrontation will ich nicht. Es geht auch nicht ohne Amateure. Es geht um den Boxsport. Da muß man begreifen, daß eine andere Ordnung eingetreten ist, der man jetzt Rechnung zu tragen hat.

Aber kann einer, der für einen Olympiasieg einige Jahre geopfert hat, noch ein Weltklasse-Profi werden?

Sicher, warum denn nicht? Wir haben Talente. Ich sage: Es ist Pflicht, daß die Guten zu den Profis gehen. Es ist aber wichtig, daß man die jungen Talente früher entwickelt. Daß der Boxsport eine breitere Basis bekommt, das ist die entscheidende Sache. Das Gespräch führte

Peter Unfried