Frohe Leute, frohe Lieder

Wenn Menschen zu sehr lachen: Die neue Platte von Les Negresses Vertes, die ihren Sänger Helno überlebt haben – „Die Einstellung ist Punk.“  ■ Von Thomas Winkler

„Wir sind eben positive Menschen. Wir mögen, was wir tun, wir leben gern und arbeiten gern zusammen. Die meiste Zeit ist ein Lächeln auf unserem Gesicht“ – sagt der jetzt einfach so und grinst mich an. Und wenn ich in die Runde gucke, sitzen die anderen genauso da. Als hätten sie gerade ein Patent aufs Grinsen angemeldet. Also schau ich wieder zurück auf Stéphane, der Mellino mit Nachnamen heißt und sich eine kecke Locke aus der Stirn streicht – und grinst, natürlich. Dabei habe ich nur gefragt, warum man in ihrer Musik so wenig – oder, um halbwegs genau zu sein, absolut überhaupt nichts – von den dunklen Seiten ihrer Heimatstadt Paris hören kann.

Schlechte Menschen haben eben keine Lieder. Fröhliche Menschen haben ganz viele fröhliche Lieder für noch mehr fröhliche Menschen. Es gibt zwar nicht viele Klischees, die noch blöder sind, aber auch keines, an das ich fester glaube, seit ich mich mit Les Negresses Vertes unterhalten habe. Oder besser: versucht habe zu unterhalten.

Konkrete Frage, konkrete Antwort

Der Akkordeonist namens Matias guckt mich über seine phantasievolle Bärtchenkonstruktion hinweg mitleidig an, als wäre ich mindestens so gefährlich wie sein letztes Dessert – meine Fragen bringen sie jedenfalls nicht aus der Fassung. Was denn dran sei an den Mythen über Paris, oh la la l'amour etc., und inwieweit sie mit diesen Mythen spielen würden? „Diese Mythen sind wahr und sind falsch. Aber wir repräsentieren mehr als das. Wir sind vier Individuen.“ Stell eine konkrete Frage, und du bekommst eine konkrete Antwort.

Ich spiele meine beste Karte aus, um endlich einmal ein ernstes Gesicht zu bekommen. Wenn ihr alle so unheimlich positiv seid, was ist dann mit Helno passiert? „Er ist gestorben, weil er zu viele Parties gefeiert hat. Er hat doppelt so schnell gelebt wie andere.“ Noäl Rota, Spitzname Helno, starb im Alter von 29 Jahren im Januar 1993 in der Wohnung seiner Mutter an einer Überdosis. Bis zu seinem Tod hatte er sämtliche Songs der Negresses Vertes gesungen, den Großteil davon geschrieben. „Es war ein persönliches Problem. Helno ist nicht nur an Drogen gestorben, er war zu stark, um nur an Drogen zu sterben. Es war das Zusammentreffen verschiedener Dinge. Natürlich hat er Probleme verdrängt mit den Drogen, so wie man auch Musik dazu benutzen kann. Aber wir wollen nicht über seine persönlichen Probleme reden. Er hat die Songs der ersten beiden Platten geschrieben, er hat genug über sich gesagt.“ Ja dann. „Helno hatte Spaß am Leben, und er lebt in uns weiter.“

Ich kann's nicht lassen. Warum man auf ihrer neuen Platte „Après la Pluie...“ das Fehlen von Helno fast nicht bemerken würde, warum statt dessen die verwegene Mischung aus Ska und Chanson, arabischen Melodien und dreister Volksfeststimmung sogar noch fröhlicher und luftiger klinge als frühere Veröffentlichungen? „Wir haben nicht nachgedacht und gesagt, wir machen jetzt eine fröhlichere Platte. Das passierte einfach, einfach so“ – (fingerschnipp) – „Wir versuchen schon, ernste Dinge anzusprechen und sarkastisch zu sein, aber wenn du dich ernsthaft mit den Sachen beschäftigst, die du im TV siehst oder die dir passieren, kannst du nicht leben. Um zu überleben, mußt du positiv sein, ansonsten wird dein Leben zur Hölle.“ Und überhaupt „sind wir näher am französischen Chanson als je zuvor“. Wo ich gerade mal wieder das Gegenteil behauptet hatte und eben jenes schmerzlich auf der neuen Platte vermißte. So kann man sich täuschen.

„Meistens geht es in den Songs um Charaktere, natürlich. Aber was sind die Themen? Liebe ist natürlich ein Thema, ein wichtiges“, und dieses eine Mal grinst Matias nicht mal, „Liebe und wie sie von Menschen erlebt wird. Wenn Liebe gerade vergeht oder entsteht, oder wenn sie gerade abwesend ist.“ Und guckt mich todernst an. Wichtiges Thema eben.

Noch ein wichtiges Thema findet dann doch immerhin Michel, sonst für die Blasinstrumente zuständig: die Stadt, in diesem Fall Paris, natürlich, „die guten und die schlechten Seiten daran, in einer so großen Stadt zu leben“. Hat da eben nicht jemand was anderes gesagt? Die „Abwesenheit Helnos“, wie Stéphane den Drogentod des Ex-Sängers elegant umschreibt, hat die Übriggebliebenen vor allem dazu gebracht, sich selbst zu finden, selbstbewußt zu werden, mehr eigene Songs zu schreiben und vor allem die dann auch selbst zu singen.

Bei Nachhaken mitleidiges Grinsen

Und noch'n Versuch. Wie sie selbst es denn mit den Drogen halten? „Wir trinken ein bißchen, rauchen ein bißchen, ganz normal. Wir kennen harte Drogen, wir mögen sie nicht.“ Thema abgeschlossen, Nachhaken sinnlos, dafür erntet man nur noch eine zusätzliche Runde mitleidiges Grinsen. Aber auch die klassischen Standardfragen, wie die nach den musikalischen Einflüssen, perlen nur ab. Sie haben immer alles gehört, ob es nun Reggae oder Hardrock oder was auch immer gewesen sei. Immerhin, eine Einschätzung lassen sie sich entlocken: „Unsere Musik ist zwar akustisch, aber eigentlich ist es Punk. Unsere Songs sind nicht groß anders als ,God Save the Queen‘: drei Akkorde, eine Stimme. Die Einstellung ist Punk.“

Ein paar von ihnen spielten früher in der U-Bahn, andere auf der Straße: „Hundert Francs da, hundert Francs hier, es hat uns eine ganze Weile am Leben erhalten. Und es war immer lustig. Mal hast du die Münzen auf den Kopf bekommen, mal haben dich die Leute beschimpft. Mal kam einer und sagte: ,Ey, ich kenne euch von einem Video.‘ Und wir sagten: ,Ja, wir machen Promotion.‘“ Nachdem sich ihr Debütalbum „Mlah“ ungefähr 500.000mal verkaufte, spielen sie schon längst nicht mehr auf der Straße, aber ihre Fröhlichkeit... Aber das hatten wir ja nun schon.

Immerhin einen haben wir gefunden, dem es trotz der gelungenen dritten LP nicht mehr so gut geht. Ihr langgedienter Bandbus, ein Mercedes des Baujahrs 1962, sucht verzweifelt jemanden, der ihn repariert, um ihm eine neue Gnadenfrist beim französischen TÜV zu verschaffen.

Les Negresses Vertes: „Après la Pluie...“. Virgin.

Tourneedaten: 28.11. Berlin, Huxley's; 29.11. Hamburg, Große Freiheit; 30.11. Düsseldorf, Tor3; 1.12. Frankfurt/M., Batschkapp.