„..wenn Karadžić geschlagen ist“

Nach dem Vormarsch bosnischer Regierungstruppen hoffen die Bewohner Sarajevos, daß der Nachschub für die Belagerer gestört werden kann / Der Beschuß der Stadt geht weiter  ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Die Freude ist ihm anzumerken. „Unsere Truppen sind von Bihać aus schon bis Bosanski Petrovać vorgestoßen“, sagt Mehmed Hasimbalić, ein Rentner, der mit seiner Frau Maja und seiner alten Mutter in der Altstadt von Sarajevo wohnt. Die Wohnung ist trotz all der Granaten, die hier während der dreißigmonatigen Belagerung der Stadt niedergegangen sind, glücklicherweise intakt geblieben. Nur die vorderen Fensterscheiben sind zu Bruch gegangen und inzwischen durch Plastikbahnen ersetzt.

Auch Ali Fazlagić, ein junger Mann, der in Hamburg aufgewachsen ist und zusammen mit der Nachbarsfamilie am Radio hängt, um die neuesten Nachrichten von den Fronten zu erhalten, will von Angst nichts wissen: „Seitdem ich am 12. April 1992, also nach Kriegsbeginn, aus Deutschland zurückgekehrt bin, wurde ich dreimal verwundet. Morgen gehe ich wieder an die Front. Wir werden Schritt für Schritt unser Bosnien zurückerobern. Und wenn es zehn Jahre dauern wird.“

Der Oberkommandierende der UNO-Truppen im ehemaligen Jugoslawien, De Lapresele, hat von einer Aggression der bosnischen Regierungstruppen gesprochen: „Wie können wir in unserem eigenen Land eine Aggression durchführen? Die französischen Militärs zeigen nur, daß sie auf der Seite der serbischen Faschisten stehen“, sagt Ali Fazlagić mit einem bitteren Lachen.

Und Maja Hasimbalić erinnert an die Bilder des serbisch-bosnischen Fernsehens vom Vortag, wo der serbische Führer Radovan Karadžić in einer Marschalluniform zu sehen war. „Wir werden sie vertreiben, wir werden sie vernichten, sie werden niemals mehr zurückkommen“, habe er da über die bosnischen Regierungstruppen in Bosanska Petrovać gesagt und die Generalmobilmachung der serbischen Bevölkerung bekräftigt. „Unsere Militärführung wird auf die Reaktion der Serben eine Antwort wissen“, meint Ali zuversichtlich. Zwar griffen nun die Krajina- Serben mit Artillerie die Städte Bihać und Velika Kladusa in der bosnischen Enklave in Westbosnien an, aber in Bosanska Krupa sei der 5. Korps der Bosnischen Armee weiter vorangekommen.

Eben wird gemeldet, daß die bosnischen Regierungstruppen in der Umgebung von Sarajevo Erfolge zu verzeichnen haben. Tronovo, ein Städtchen, das an der wichtigen Straße von Sarajevo nach Foca liegt und wie die Straße bisher von der serbisch-nationalistischen Armee kontrolliert wird, soll zurückerobert worden sein, heißt es – freilich mit der Einschränkung, die Meldung sei noch nicht vom Oberkommando bestätigt. „Wichtig für uns ist vor allem, daß wir die Straße bedrohen können“, erklärt Mehmed Hasimbalić, „das wird den Nachschub der Serben erheblich stören.“

Die Stimmung unter der kleinen Gruppe am Radiogerät bleibt auch gut, als von den Fronten in Ostbosnien berichtet wird. Die bosnischen Regierungstruppen hätten ihre Stellungen bei Tesanj weiter ausgebaut und drückten auf die Nachbarstadt Teslić, die im Juni 1993 von den serbischen Truppen erobert worden war. Auch in Gradacać und in Doboj sei die Lage stabilisiert, heißt es.

Nachdenklichere Gesichter dagegen sind im UNO-Hauptquartier anzutreffen. Tim Spicer, der britische Sprecher der Unprofor, windet sich unter dem Fragenhagel der Journalisten. Wieso sei es denn nicht möglich, die Herkunft und die Zahl der Granaten auf die Stadt Sarajevo festzustellen? Die Unprofor-Truppen hätten doch seit den Februarereignissen – als nach der Granate auf dem Marktplatz in Sarajevo Dutzende starben, was das Nato-Ultimatum vom 21. Februar ausgelöst hatte – Detektoren erhalten, um eindeutig feststellen zu können, woher die Granaten kommen. Am Montag hatte die UNO bekanntgegeben, daß die Detektoren defekt seien. Dies möchte Spicer so nicht wiederholen. Um aber die Herkunft der Granaten eindeutig festzustellen, seien längere Untersuchungen nötig. „Rufen Sie mich heute nachmittag an.“

„Die UNO-Offiziellen wollen eben nicht sagen, daß der nun schon seit Freitag andauernde Granatenbeschuß von Hrasnica und Sarajevo aus serbischen Artilleriestellungen innerhalb der 20- Kilometer-Sicherheitszone stammt,“ beklagt sich eine Kollegin des bosnischen Fernsehens. „Würden sie dies tun, wäre ein Luftangriff der Nato zwangsläufige Folge. General Rose möchte jede Konfrontation mit der serbischen Seite vermeiden.“

Zugeknöpft geben sich auch die Militärs im Hauptquartier der bosnischen Regierungstruppen: „Unsere Strategie ist klar, wir versuchen mit den gleichzeitigen Angriffen an unterschiedlichen Frontabschnitten die Kräfte des Gegners zu zersplittern“, erklärt Brigadegeneral Jovan Divjak knapp. Er bestreitet aber nicht, daß die Offensive der Regierungstruppen in Bosanski Petrovac zum Halten gekommen ist und meint: „Wir vertrauen auf die außerordentliche Fähigkeit unserer Militärführung vor Ort.“

Doch angesichts der Forderung der Unprofor-Führung, die bosnischen Regierungstruppen sollten sich am Berg Igman bei Sarajevo aus ihren Stellungen am Rande der demilitarisierten Zone zurückziehen und die Offensive bei Trnovo stoppen, gerät er in Rage: „Erst wenn der Zugang zu Sarajevo über den Berg Igman für uns gesichert ist, können wir über dieses Thema reden.“ Ohne eine diesbezügliche Garantie der UNO würden sich die bosnischen Regierungstruppen keinesfalls zurückziehen.

Deutlicher noch wird der Generalsekretär der muslimischen Partei SDA, Enver Kreso: „Auf die internationale Unterstützung können wir uns nicht verlassen, die britischen und französischen Militärs der Unprofor zeigen durch ihre Taten, wo sie stehen. Lediglich die Politik der USA und auch in beschränktem Maße Deutschlands geben uns Hoffnung.“ Aber vor allem müsse man auf die eigenen Kräfte vertrauen.

Lautes Maschinengewehrgeknatter verstört die Familie Hasimbalić, die sich zum Mittagessen niedergelassen hat. An der nahegelegenen Demarkationslinie zum serbisch besetzen Stadtteil Grbavica wird wie in der Nacht zuvor auch jetzt wieder geschossen. „Wann hört das endlich alles auf“, seufzt Maja und antwortet gleich selbst: „Erst wenn Karadžić geschlagen ist.“