Samantha-Küsse

■ „The Thing Called Love“ aus Nashville war River Phoenix' letzter Film

Wer ist nicht alles tot. „Courtney Love? She's dead“, meinte unlängst ein Amerikaner in einem Imbiß, worauf es zu heftigen Diskussionen unter den Kauenden kam. Per Abstimmung wurde beschlossen, Courtney sei nicht tot, sondern nur ihr Ehemann Kurt Cobain. Und eine Frau aus ihrer Band sei gestorben – „an Drogen“. Noch vor Cobain starb vor ziemlich genau einem Jahr der Schauspieler River Phoenix. Er wurde 22. Sterben die Helden der GenerationX, bevor Angehörige der Generation Y sie totgeredet haben?

Ein merkwürdiges Rezeptionsverhalten stellt sich ein. Man sieht den letzten fertiggestellten Film mit dem hübschen Jungen River, und es ist wie beim Hören von Nirvana-Platten: Manches liest sich plötzlich als Chronik eines angekündigten Todes. Warum singt River in „The Thing Called Love“ so traurige Countrylieder, wo er doch gerade eine so nette Braut im 24-Stunden-Supermarkt von Memphis, Tennessee geheiratet hat? Und man einen geräumigen Pick-up fährt, der genug Platz bietet, sich auch in verzwickten Positionen noch zu küssen.

Sind die Hippie-Eltern an allem schuld? Sie gaben ihm den Namen River, und er mußte mit seinen Geschwistern, die flowerpowerig Rainbow, Leaf, Liberty und Summer heißen, auf der Straße für Geld Musik machen. Natürlich war er Vegetarier, er durfte nicht einmal Lederjacken tragen, wegen der Tiere...

Bei „der Sache, genannt Liebe“, stirbt zwar keiner, aber es gilt berühmt zu werden und dadurch, wie automatisch, auch noch ein bißchen erwachsen. Das klappt natürlich nicht, aber dafür schreibt man hübsche kleine Songs, wenn man verheult im Highway Diner sitzt. Die Titel der Stücke stehen wie von Geisterhand geschrieben auf der leuchtenden Reklametafel des Motels, wo alle wohnen.

Kyle, Miranda und James verschlägt es in die „Music-City“ Nashville, und in der gibt es einen simplen Initiationsritus, den sicherlich Elvis ausbaldowert hat. Man stellt sich auf das Dach eines Hochhauses und brüllt der Stadt mehrfach folgenden Satz zu: „Here I am, Music City, and I'm never gonna leave it.“ Miranda schreit so laut sie kann, James (River Phoenix) spricht leise, und der dritte im Bunde sagt gar nichts, sondern hört den anderen nur zu: Er liegt gegenüber im Krankenhaus. Damit ist der weitere Verlauf erahnbar. Zwei (James und Miranda) werden irgendwann Sex miteinander haben, und der Dritte (der schüchterne Kyle) wird die Zuschauerrolle spielen müssen. Der Countrysänger als Ödipus.

Die Gesellschaft aber, die die Twentysomeones verdammt nochmal in ihre Reihen lassen soll, macht wieder mal Zicken. Aufnahme ohne Prüfung ist nicht. Kein Tellerwäscherjob ohne Zeugnis der Gesundheitspolizei, keine Musikerkarriere ohne Vorsingen in Amy Kurlands „Bluebird“. Um auf die Bühne des auch real existierenden Räucherschuppens zu kommen, gilt es die wöchentlich von Amy (Kurland spielt sich in rotziger Puffmuttermanier selbst) persönlich abgeschrittene Audition zu überstehen. Das schafft zunächst nur James. Miranda ergattert vorläufig einen Job als Kellnerin im „Bluebird“.

Miranda heißt zufällig Presley mit Nachnamen, was natürlich in Nashville kein Zufall sein kann. Sie und die anderen Jugendlichen in Nashville aber haben aus der Geschichte gelernt: Rock 'n' Roll hat viel zu viele Kalorien, wir machen Country! Den neuen natürlich, siehe Lyle Lovett (unmusikalischen Kinogängern als „Mann von Julia Roberts“ bekannt) oder Garth Brooks, dessen Karriere im „Bluebird“ begonnen haben soll. Die Vermischung von Realität und Film macht auch vor River Phoenix und den andern nicht halt. Der Straßenmusiker River Phoenix gründete 1987 seine eigene Rockband. Für „The Thing Called Love“ arbeitete er mit T. Bone Burnett Songs aus. „Lone Star State Of Mine“, das Miranda fast das Tablett abstürzen läßt, hat er selbst komponiert. Alle singen selbst. Die Plattenfirma sollte sich schleunigst entschließen, den Soundtrack auch in Europa zu vertreiben.

Aber es wird nicht nur selbst gesungen, auch die Küsse sind angeblich echt. Regisseur Bogdanovich berichtet jedenfalls, daß River Phoenix heftig nach möglichst vielen Kußszenen mit Samantha verlangte... Eine eigentümliche Koinzidenz liegt in Phoenix' Tod. Mit Samantha Mathis besuchte er neun Wochen nach der Premiere von „The Thing Called Love“ den „Viper Room“ in Hollywood. Vor der Tür des Clubs, dessen Mitbesitzer Jungschauspielerkollege Johnny Depp ist, bricht Phoenix tot zusammen. In seinem Blut findet man Spuren von Valium und Kokain. Andreas Becker

Regie: Peter Bogdanovich. Mit River Phoenix, Samantha Mathis u.a. USA 1993, 149 Min.