Vogel-Prozeß: Ab Montag Zeitgeschichte höchst exklusiv

■ Nur 20 reservierte Plätze für Journalisten im Gerichtssaal

Berlin (taz) – Wenn der Prozeß gegen den Ex-DDR-Unterhändler Wolfgang Vogel so weitergeht, wie er gestern begann, werden die vorgesehenen 30 Verhandlungstage vor dem Berliner Landgericht nicht reichen. Schon nach wenigen Minuten gelang es den drei Anwälten Vogels – darunter Staranwalt Wolfgang Ziegler –, die Verhandlung bis kommenden Montag zu unterbrechen. Souverän wiesen sie den Vorsitzenden Richter Heinz Holtzinger darauf hin, daß die Kammer es versäumt hatte, der Verteidigung eine aktualisierte Anklageschrift zum Hauptvorwurf Erpressung rechtzeitig zuzustellen. Man wolle erst prüfen, ob die Staatsanwaltschaft die „Grundkonstruktion der Anklage“ geändert habe, nämlich die Behauptung, Vogel habe „über den Zwang des herrschenden Systems hinaus“ seine ausreisewilligen Mandanten ausgeplündert.

Das Landgericht hatte im September verordnet, die ursprüngliche Anklage von 53facher Erpressung auf 21 Fälle zu verschlanken. Bei den restlichen Fällen fehle das für den Vorwurf der Erpressung entscheidende Merkmal der Nötigung „mit Gewalt“ oder der „Drohung mit empfindlichem Übel“. In den jetzt zu beurteilenden 21 Fällen im Tatzeitraum zwischen 1972 und Juli 1989 geht es jeweils um den Vorwurf, von Ausreisewilligen Grundstücke und Häuser erpreßt zu haben. Die Anwälte kündigten gestern an, daß die Zeugenvernehmungen schwierig würden. Denn die Staatsanwaltschaft habe „mindestens sechs Zeugen“ versucht zu beeinflußen, indem sie ihnen die Anklageschrift „rechtswidrig“ und „auf Anfrage“ schon vor der Hauptverhandlung zustellte.

Auch bei den beiden weiteren Anklagepunkten – Meineid und Untreue – mußte das Gericht gestern klein beigeben. Zwar gelang es Staatsanwalt Bernhard Brocher, die Vorwürfe vorzulesen, nicht aber, die Anwälte oder Wolfgang Vogel zu der mit Spannung erwarteten „Erklärung“ zu bewegen. Beim Vorwurf des Meineids geht es um Vogels Angabe vor dem Kammergericht, er habe am 31. Mai 1989 einen Grundstücksverkauf notariell beurkundet. Laut Anklage sei er aber an diesem Tag in Israel gewesen.

Auf welch glattem Eis dieser Prozeß geführt wird, zeigt das Beispiel „fortgesetzte Untreue“. Denn die Staatsanwaltschaft wirft Vogel vor, daß er zwischen Dezember 1986 und Juli 1987 eigenmächtig 90.000 Mark aus dem Guthaben eines Mandanten nicht weisungsgemäß für soziale Zwecke an die Stadtkasse Bischofswerda überwiesen habe, sondern an die Evangelische Kirchengemeinde Bischofswerda. Da hielt es Wolfgang Vogel nicht auf seinem Platz: „Wenn es Untreue sein soll, wenn ich anstatt dem Staat Geld der Kirche gegeben habe, dann hat die Staatsanwaltschaft die Zeit verpaßt.“

Der Prozeß findet ab Montag nur vor einer ausgewählten Öffentlichkeit statt. Trotz des gewaltigen Journalistenandrangs fand das Gericht nur einen Miniraum mit 20 Plätzen. Anita Kugler