: Von Kurieren und Christen
■ Vor tausend Jahren: der mühselige Weg von Güstrow nach Wittenberge
Vielleicht hieß er Egon, der erste Kurier, der durch die Hamburger Innenstadt kam. Sein Fürst hatte ihn von Güstrow aus zu Pferd die Elbe hinabgeschickt: „Ole der Wikinger wird in der Unterelbe erwartet. Künde ihm von unserer Freundschaft und bringe ihm diesen goldenen Becher! Doch meide nach Möglichkeit alle fremden Ortschaften, denn nicht von ungefähr nennen uns die Sachsen Slaven und das bedeutet Sklaven, und ich möchte Dich wohl und gesund zurück sehen!“ So sprach der Fürst und Kurier Egon ritt los. Es war um das Jahr Eintausend.
Drei Tage reitet Egon nach Westen, dann sieht er die Elbe. Und da er nicht der erste ist, der dem Fluß stromab folgt, gibt es hier sogar einen bequem ausgetretenen Pfad auf einem Höhenrücken, von dem aus er den Strom ständig in seiner ganzen Breite übersehen kann. Am vierten Tag entdeckt er einen runden Burgturm am Horizont. Dort liegt Ham-Burg!
Ham oder Hamme meinte ursprünglich ganz allgemein eine Ecke oder einen Vorsprung - auf eine Landschaft übertragen ist eine Hamme ein Höhenzug, der in eine feuchte, sumpfige Niederung vorstößt. An drei Seiten ist er von unpassierbarem Moor umgeben und stellt so eine natürliche Festung dar.
Die Hamme, auf der Kurier Egon dem Wikinger-Chef entgegenreitet, erstreckt sich vom Stadtteil Hamm bis zur Altstadt. Auf ihrer Spitze baute der Bischof Bezelin-Alebrand um die Jahrtausendwende die erste steinerne Bischofsburg – das nördlichste steinerne Festungsgebäude in Europa. Die Steine dieser altehrwürdigen Burg hat man im Mittelalter kurzerhand zum Ausbau des Weges verwandt, und so erhielt Hamburg nach Paris und London die dritte mit Steinen gepflasterte Straße des Mittelalters - die Steinstraße.
Als erfahrener Kurier wählt Egon zunächst den nördlich Uferweg an der Elbe: Das Nordufer ist höher und durchgehend, während auf dem Südufer gute Aussichtspunkte dünn gesät sind. Hier könnte er bis Rissen, bis zum Sven-Simon-Park, dem erwarteten Boot entgegenreiten, um an den höchsten Stellen in angenehmer Südhanglage im Wald zu lagern und zu warten. Doch Egon, der immerhin einen Goldbecher ans Ziel bringen muß, beschließt, die Burg am Horizont sicherheitshalber im weiten Bogen zu umgehen. So verläßt er schweren Herzens den bequemen Fernweg auf dem Rücken der Hamme und wendet sich nach Norden.
Ein Entschluß, den er bald bereut: Egon durchquert einen Bach voller Blutegel (Eylen), folgerichtig Eylbek genannt, und kurze Zeit später einen zweiten, der wegen seines warmen Wassers Warmbek oder Barmbek heißt. Als er sich gegen Mittag erneut gen Westen wendet, stößt er auf das breite, sumpfige, völlig unpassierbare Alstertal, und als er versucht, nach Norden auszuweichen, versperrt ihm bald der Goldbek seinen Weg. Er muß den letzten Teil des Weges zurück, um noch weiter im Norden sein Glück zu versuchen. So verrinnt die Zeit in der flachen, unübersichtlichen Landschaft - auf der Suche nach einem Übergang über die Alster. Der bietet sich schließlich, nach vielen mühsamen Stunden, in der Nähe von Sassloh (Sasel). Jetzt treibt Egon sein Pferd zu äußerster Eile, und trotzdem wird es Nacht, bevor er die Elbe wieder errreicht.
Als er später Ole am Strand von Wittenberge von seinem Irr-Ritt berichtet, lacht dieser: „Das war unnötig, denn der Burgherr ist ein gastfreudiger Mann, und seine Abendmale sind geradezu legendär!“ Und in der Tat! Als Egon auf dem Rückweg den Alten Steinweg zur Alster herunter reitet, sich durch die flache Alster tastet, um schon nach wenigen hundert Metern das jenseitige Ufer zu erklimmen, da steht schon der Bischof am Ufer und heißt ihn willkommen! Und Egon denkt: Schlaue Leute, diese Wikinger. Wieviel bequemer und vernünftiger ist es doch, sich gegenüber vom Bischofsturm im Dom (in der Domstraße) taufen zu lassen! Hans-Jürgen Maaß
Informationen aus „taxischein-light“, erschienen im Selbstverlag H-J Maaß, Missundestr. 11a, 22769 Hamburg, 60 Seiten, 15 Mark
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