„Erst ausbilden, dann hängenlassen“

■ Hamburger Juristennachwuchs bekommt kaum noch Referendariatsplätze Von Clemens Gerlach

Der Hamburger Juristennachwuchs ist genervt. Denn es dauert immmer länger, bis er nach Abschluß des ersten Staatsexamens mit einem Referendariat beginnen kann. Lag die im Bundesvergleich ohnehin schon lange Wartezeit in Hamburg bei bislang durchschnittlich anderthalb Jahren, wird sie in Zukunft auf 22 Monate ansteigen. Dies teilte die Personalstelle für Referendare Ende September allen BewerberInnen in einem Schreiben mit. Der Grund: Die Justizbehörde hatte beschlossen, aufgrund der Haushaltslage von 1.015 Referandariatsplätzen im Laufe des kommenden Jahres 96 einzusparen.

„Einen Skandal“, findet der verhinderte Referendar Thomas Motz, der vergangenen Freitag zusammen mit weiteren 130 Betroffenen (insgesamt rund 1.000) einen offenen Brief an Justizsenator Klaus Hardraht richtete. Die Forderung: Rücknahme der Stellenkürzungen und Schaffung zusätzlicher Referendarsstellen in der Hamburger Verwaltung.

Eine Position, die sich inzwischen auch die FDP zu eigen gemacht hat. Deren Hamburger Vorsitzende und Bonner Staatssekretär, Rainer Funke, spricht von „Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen“, weil mühsam erlerntes Wissen durch das Warten verloren gehe.

Doch für diese Solidaritätsadresse können sich die ReferendarInnen in spe nichts kaufen. Auch nicht für das Verständnis der Planstelle: Man wisse, „daß diese Wartezeit eigentlich unzumutbar und mit den Zielen der Juristenausbildung unvereinbar ist“.

In der Tat laufen die Pläne dem Ziel, das Jurastudium zu straffen, zuwider. Die bis dato getroffenen Maßnahmen – unter anderem Verkürzung des Referendariats von zweieinhalb auf zwei Jahre – haben die Bewerberzahlen sowieso schon in die Höhe schnellen lassen.

„Und gerade jetzt wollen sie Stellen streichen“, wundert sich auch Anja Hansen, die den offenen Brief mitinitiierte. Sie ärgert sich darüber, daß Frauen besonders stark benachteiligt werden: „Der überwiegende Teil derjenigen, die nicht zur Gruppe der bevorzugten Anwärter gehören, sind Frauen.“ Denn männliche Bewerber erhalten einen Wartebonus von drei Monaten, wenn sie Wehr- oder Ersatzdienst geleistet haben, eine Regelung, die auch für Frauen mit freiwilligem sozialen Jahr gilt (33 Prozent aller freiwerdenden Plätze). Weitere Verkürzungen werden in Härtefällen gewährt (zehn Prozent) oder bei besonders guten Examen (18 Prozent). Der Rest, immerhin 40 Prozent, muß sich so durchschlagen. Wie gesagt: Es trifft vor allem Frauen.

„Erst bilden sie uns aus, dann lassen sie uns hängen“: Auch Anja Hansen lebt wie viele andere in Unsicherheit, wann das Referendariat losgehen wird: „Vernünftig planen kann man da nicht.“ Was aber notwendig ist, schließlich sind auch während der Wartezeit Miete und Essen fällig.

Bevor jedoch über mögliche Klagen auf Einstellung debattiert wird, will die Gruppe der 130 erst einmal die Öffentlichkeit mobilisieren. Die passende Gelegenheit bietet sich am heutigen Freitag, wenn der (reformierte) Jura-Fachbereich II der Uni Hamburg sein 20jähriges Bestehen feiert. „Wir wollen dort auf unsere Lage aufmerksam machen“, sagen Hansen und Motz, „schließlich haben wir noch keine Lobby.“