Tucholsky macht schon wieder Ärger

■ Gedenkfeier für das KZ Engerhafe abgesagt: Aurichs Stadtdirektor stört das „Soldaten sind Mörder“-Zitat

Im Rathaus zu Aurich sollen auf Geheiß von Stadtdirektor und Bürgermeister die Kisten gepackt werden. Die von der „Arbeitsgemeinschaft ehemaliges KZ Engerhafe“ (AG) initiierte Ausstellung zum Gedenken an die 188 Opfer des vor genau 50 Jahren errichteten Vernichtungslagers wird vorzeitig abgebrochen. In einer Pressekonferenz bezeichneten die Stadtoberen die Werke der drei Auricher Künstler Bernd Meyse, Herbert Müller und Hans Pollack als „Kleckserei“, sprachen gar von „hirnloser Leistung“.

Besonderen Anstoß nahm Stadtdirektor Thomas Friemann an dem von Bernd Meyse erstellten Triptychon, das jene drei Sätze zitiert, die Tucholsky 1931 in der Weltbühne formulierte: „Sagte ich Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“ Schon Beginn der Woche wies Hausherr Friemann seine Beamten an, das Zitat auf dem Bild zu überkleben. Dies wiederholte sich in derselben Regelmäßigkeit, mit der BesucherInnen gegen die Zensur vorgingen und die Abklebung entfernten.

„Ich habe nicht zensiert“, widersprach Friemann gegenüber der taz. „Ich glaube, daß dieses Zitat auf einer Ausstellung, die die Schrecken des KZ zum Inhalt hat, thematisch da nicht hinpaßt. Ich sehe keinen inhaltlichen Zusammenhang zwischen dem Beruf des Soldaten und dem, was die Nazis im KZ getan haben.“

Friemann beteuert mehrfach, nur seine Meinung gesagt zu haben. Die Verantwortung für den Abbruch der Ausstellung will er ebensowenig tragen wie für das Überkleben des Zitates. Er habe das lediglich veranlaßt, und zwar auf ausdrücklichen Wunsch von Pastor Ocke Sanders, dem Vorsitzenden der AG. Sanders, der vorgestern als Vorsitzender zurücktrat, will dies im Rückblick weder bestätigen noch dementieren: „Kein Kommentar.“

Im Laufe der Woche entbrannte in und außerhalb der AG ein heftiger Streit um das Tucholsky-Triptychon. Friemann und andere KritikerInnen sahen darin eine Herabsetzung des Soldatenberufs und eine ungerechtfertigte Gleichsetzung von Soldaten mit Nazi-Schergen. Eine unzulässige Schlußfolgerung, wie im September das Bundesverfassungsgericht festlegte. Zur Erinnerung: Die Karlsruher Richter hatten damit der Verfassungsbeschwerde eines Mannes entsprochen. Dieser hatte 1991 das Tucholsky-Wort als Autoaufkleber öffentlich gemacht und war dafür vom Amtsgericht wegen Volksverhetzung in Tateineit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe von 8400 Mark verurteilt worden. Das Bundesverfassungsgericht allerdings gab ihm Recht und wertete das Zitat als „zulässige Meinungsäußerung“ im Sinne der grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit.

Doch was als Aufkleber bundesverfassungsgerichtlich erlaubt ist, soll als Kunst in Aurich verboten bleiben. Das Zitat, lediglich als kleiner Schriftsatz auf der 1,50 mal 1,50 Meter großen Malerei zu lesen, erregte die Gemüter immer mehr. Der Titel, den die AG ihrer Veranstaltung verliehen hatte, erhielt eine makabre Wendung: Die „Schatten der Vergangenheit“ holten die Gegenwart ein. Am Mittwochabend beschloß die AG, die sich aus Vertretern der Parteien, der Gewerkschaft, dem Pastor, einem Kirchenvorstand, interessierten Privatleuten und den drei Künstlern zusammensetzt, mit 10 gegen vier Stimmen, die gesamte Ausstellung sowie das komplette Begleitprogramm abzubrechen. Dazu zählen verschiedene Einzelveranstaltungen ebenso wie eine Ausstellung von Aquarellen in der Engerhafener Kirche. Abgebaut wird auch eine Installation mit dem Titel „188 Grabtücher“.

„Es wurde klar“, kommentiert Bernd Meyse den Beschluß, „daß den Leuten aus der AG diese Art Kunst, wie wir sie im Rathaus gemacht haben, überhaupt nicht paßt. Das war abgekartetes Spiel.“ Als Kartengeber habe sich auch Generalleutnant Weber von der Garnison betätigt, der ein Bild des Künstlers Pollack zensiert habe, da es einen Nazischergen zeigt, der angeblich einem Bundeswehrsoldaten ähnele. „Der Weber hat natürlich dann hier rumagitiert,“ so Meyer, trotzdem sei die Allianz überraschend gewesen. „Es war für uns Künstler erschreckend, wie die Menschen auf einmal abgeblockt haben. Wir haben daraus gelernt, warum die 50 Jahre Vergangenheit nicht bewältigt sind. Sie wollen Vergebung und Trauerfeiern machen, aber sie wollen keine wirkliche Auseinandersetzung.“ Pastor Sanders bestätigt das indirekt: „Die intellektuelle Diskussion um Tucholsky“, wiederholt er mehrmals das einzige Statement, das er zu der Sache noch abgeben möchte, „ hat unsere Arbeit derart geschädigt, daß Trauerarbeit jetzt nicht mehr möglich ist.“

Trotzdem soll heute ein stiller Gottesdienst den Schlußpunkt unter die Gedenkfeiern setzen. Jedenfalls in Aurich. Beim holländischen Städtepartner Assen dagegen wird voraussichtlich die komplette Ausstellung zu sehen sein. Nicht zuletzt, weil im KZ Engerhafe viele HolländerInnen umgebracht wurden, war das Interesse an den Veranstaltungen in Aurich sehr groß, die Resonanz durchweg positiv. Bernd Meyse: „Das wird natürlich jetzt nocht brisanter: Was hier in Deutschland nicht gezeigt werden kann, das wird jetzt in Holland gezeigt.“ Dora Hartmann