Malerei, zum Greifen nah

In Split befremdet Momčilo Golubs Kunst, vom Auslandsruhm kann er nicht leben  ■ Von Ulrich Clewing

Wenn Worte nicht ausreichen, weshalb dann viel reden? Schrecklich sei der Krieg in seinem Land, schrecklich das Leben in Split, nur 50 Kilometer von der Front entfernt. Mehr will Momčilo Golub nicht sagen. Warum auch, hier in Berlin würde ihn ohnehin kaum jemand verstehen. Golub ist nach Berlin gekommen, um über seine Kunst zu sprechen – und zwar nur über seine Kunst. Denn das ist ein großes Privileg, glaubt Golub. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, daß der hagere 45jährige vielleicht ein bißchen zu früh grau geworden ist, ein bißchen zu nervös mit seinen langen Armen in die Luft greift, wenn er sich auf französisch verständlich machen will.

Die Biographie des Künstlers Momčilo Golub ist typisch für die Lebensläufe in Ex-Jugoslawien. Geboren wurde er in dem Städtchen Ljubuski in Bosnien-Herzegowina, sein Studium absolvierte er an der Kunsthochschule im serbischen Belgrad, seit rund zwanzig Jahren lebt er in Split in Kroatien. Inzwischen trennen diese Lebensstationen Welten voneinander.

Dabei hat Golub, was übersetzt übrigens „Taube“ heißt, mehr Glück gehabt als andere. Falls man überhaupt von Glück reden kann. Als der Krieg begann, war Golub gerade in Paris, eine Ausstellung vorbereiten. Er blieb länger als geplant, kehrte dann aber doch zurück. Seine Frau und seine Kinder lebten noch in Split. Mit der Kunst aber, so schwor er sich, wollte er aufhören, darin sah er keinen Sinn mehr – wohlwissend, daß es für ihn eigentlich keine Alternative gab.

Schon während seines Studiums in Belgrad war er aufgefallen: Er wurde als bester Zeichner seines Jahrgangs ausgezeichnet. Später unterrichtete er selber, diesmal in Split. Die Lehrveranstaltungen, die Golub in einem alten Kino abhielt, waren schnell über die Hochschule hinaus bekannt und beliebt. Für einen Künstler wie Golub damals die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Bei Ausstellungen sei er früher nicht behindert worden, sagt der Künstler. Nur verkaufen können habe er keine einzige seiner Arbeiten. Ein Kunstmarkt hat in Jugoslawien nie existiert.

Erst recht nicht für Kunst, wie sie Golub machte. Die eignete sich so gar nicht für offizielle Repräsentation. Angefangen hat er mit abstrakt-poetischen Zeichnungen: ein paar bunte, hastig gezogene Striche, darüber ein einzelner Flügel eines Raubvogels. Titel: „Ein Vogel fällt von den Farben des Himmels“. Jugoslawien hatte keinen Eisernen Vorhang, die Informationen flossen.

Nachhaltig beeindruckt hat ihn Beuys, von dem er Ende der sechziger Jahre einen Vortrag in Belgrad gehört hatte. Auch lernte er die Arbeiten der amerikanischen Minimalisten kennen, von Sol LeWitt, Carl Andre, Donald Judd und wie sie sonst noch alle heißen. Obwohl er deren Werke hoch schätzt, waren sie ihm zu kühl, zu emotionslos.

1982 erhielt er ein einjähriges Stipendium für Paris. In künstlerischer Hinsicht hatte dieser Ortswechsel einschneidende Folgen. Golub begann, in einer Art postmodernem Kleidchen-wechsle- dich-Spiel die verschiedensten Materialien miteinander zu kombinieren. Unter die Reproduktion eines Renaissance-Gemäldes, auf dem eine Madonna zu sehen ist, hängte er ein Stück Stoff in demselben Farbton wie das Gewand der Mutter Gottes auf dem Bild. Anschließend drapierte er das Ganze so, daß der Stoff den Faltenwurf auf dem Gemälde imitierte. Plötzlich war die Malerei buchstäblich zum Greifen nah.

Ein anderes Mal nahm er eine Abbildung der Venus von Milo, brachte daneben ein Messingschild an sowie einen rohen Quader Marmor: eine Scharade der Begriffe, ein melancholisches Vexierbild der Bedeutungsebenen. „Zufall“, meint Golub, daß gerade dieser Stein für so etwas Schönes wie das Standbild der Venus verwendet wurde. Ein Glück, das dem um so realeren Marmor in seiner Installation nicht beschieden sei.

Künstlerschicksal: Als Golub mit seinen neuen Arbeiten im Gepäck wieder in Split auftauchte, dachten alle, er hätte die Ideen in Paris bei anderen Künstlern abgeguckt. Er wußte es besser, war sich sicher, daß seine Zeit kommen würde. Fortan schlug er sich eher schlecht als recht durch, lebte vom Verdienst seiner Frau, einer Lehrerin. Einmal nahm er teil an einer großen Ausstellung „Moderne Kunst aus Jugoslawien“ in New York, mit Erfolg. Er gewann den ersten Preis, der freilich nicht mehr als Ruhm und Ehre einbrachte.

Das war's dann auch schon. Von den schönen Worten hatte er in Split nichts. Doch viel schlimmer als der Geldmangel war für ihn, den Perfektionisten, die fehlende Auseinandersetzung mit seinen Werken. Zwar haben die Kritiker in Jugoslawien nie etwas Schlechtes über ihn geschrieben, erinnert sich Golub. Aber sie hätten auch nie so recht was anfangen können mit seiner Kunst, immer nur Vergleiche gesucht zu berühmten Künstlern aus dem Westen.

Vor drei Jahren frischte Golub schließlich seine alten Kontakte in Paris auf – und bekam prompt die Zusage für eine Ausstellung in der renommierten Galerie von Antoine Candau. Womit Golub nicht rechnen konnte: Damals stand der Pariser Szene das Wasser schon bis zum Hals. Viele Galeristen hatten sich während des Kunst-Booms der achtziger Jahre verspekuliert und immense Schulden gemacht. Als die Banken keine neuen Kredite mehr vergeben mochten, ließ der Zusammenbruch nicht lange auf sich warten. Etliche Galerien gingen Bankrott. Er hätte fünf Jahre früher kommen sollen, ließ Candeau Golub ausrichten, ehe er, den das französische Fachblatt art press 1991 noch zum „Kunsthändler des Jahres“ gekürt hatte, auf der Flucht vor seinen Gläubigern auf Nimmerwiedersehen verschwand. Aus der Traum.

Geblieben ist die Unsicherheit. Die Angst, seine Kunst könnte sich innerhalb von wenigen Jahren überlebt haben, läßt sich nicht so leicht abschütteln – selbst wenn Golub ahnt, daß er damit international bestehen kann. Die Bestätigung dieser Ahnung wird ihm allerdings auf absehbare Zeit versagt bleiben. Bald geht es zurück nach Split, wo derzeit niemand Kunst sehen will und wo auch niemand Kunst erwartet. Sondern nur Nachrichten vom Krieg.

Heute abend findet um 20 Uhr im Kulturverein Süd-Ost e.V. in der Großbeerenstraße 88 ein Gespräch mit Momčilo Golub statt. Eine Ausstellung seiner Arbeiten ist noch bis morgen von 14 bis 19 Uhr in der Galerie Franz Mehring in Kreuzberg, Mehringplatz 7, zu sehen.