Ein Leben im Widerstand gegen Hitler

■ Reformpädadoge und Sozialist: Adolf Reichwein kämpfte im Widerstand und bezahlte mit seinem Leben / Sein pädagogisches Konzept wird wiederentdeckt

Rosemarie Reichwein blickte vom Rednerpult mit klaren Augen in die Reihen der Gäste: „Ich möchte Ihnen allen danken, daß Sie hier sind. Es zeugt von dem Wert der Arbeit meines Mannes und von seiner Ausstrahlung, daß ihm diese Ausstellung gewidmet wird.“ Die Eröffnung der Ausstellung „In der Entscheidung keine Umwege“ ist ein großer Tag für die neunzigjährige Witwe des Reformpädagogen, Sozialisten und Widerstandskämpfers Adolf Reichwein, der vor fünfzig Jahren in Berlin- Plötzensee erhängt wurde.

Nach dem Tode ihres Mannes am 20. Oktober 1944 mußte sie, als Alleinstehende und mit vier Kindern, noch zehn Jahre warten, bis sie ihre Witwenrente erhielt. Der Sozialist Reichwein paßte als Widerstandskämpfer aus den Reihen des „Kreisburger Kreises“ um Helmuth James von Moltke nicht so recht in das „Heldenbild“ der Nachkriegszeit. Auch fünfzig Jahre später sind die politischen Debatten um die „wahren“ Widerstandskämpfer nicht verstummt. Kultursenator Rohloff-Momin betonte dann auch, daß es „uns heute nicht zusteht, Widerstandskämpfer von damals auszugrenzen“. Ihr gemeinsames Ziel, egal ob sie Kommunisten, Sozialisten oder Konservative waren und unabhängig davon, was sie nach 1945 gemacht haben, sei „der Sturz der Nazidiktatur“ gewesen. Die Debatte des diesjährigen Sommers sei deshalb auch zu verurteilen: Widerstandskämpfer sollten nicht parteipolitisch vereinnahmt werden.

Im Museum für Volkskunde – der letzten Wirkungsstätte Reichweins, die er als Leiter des Projektes Schule und Museum betreute – ist nun bis zum 13. November eine Ausstellung über sein Leben und Wirken zu sehen. Reichwein, 1898 geboren und mit 32 Jahren bereits Professor für Politik und Geschichte in Halle an der Saale, wurde 1933 aus dem Hochschuldienst entlassen. Er schlug das Angebot, auf einen Lehrstuhl in die Türkei zu emigrieren, ab und zog die „innere Emigration“ vor. Die Nationalsozialisten versetzten ihn in die Provinz, ins märkische Tiefensee, nordöstlich von Berlin, in der Hoffnung, daß er ihnen dort politisch nicht gefährlich werden könne. Das 1939 erschienene Buch „Schaffendes Schulvolk“ zeugt von seiner dortigen Arbeit als Volksschullehrer. In einer einklassigen Landschule entwickelte er ein neues Lehrkonzept. Schule sollte nicht auf Fächern und Stundenplänen aufgebaut sein, sondern als großer sozialer und kultureller Erfahrungsraum die Kinder zu mündigen Bürgern erziehen. Erstaunlich dabei ist, wie Reichwein diese Arbeit verwirklichen konnte, obwohl einige nationalsozialistisch gesinnte Eltern seiner Schüler versuchten, ihn zu denunzieren.

Sein pädagogisches Konzept orientierte sich an den Traditionen der Jugendbewegungen wie des „Wandervogels“. Er reduzierte die Stoffülle auf exemplarische Fälle und unterrichtete die Kinder in mehrere Wochen oder sogar Monate dauernden „Werkvorhaben“. Aus den Ziegelsteinen eines abgebrochenen Schornsteines und altem Fensterglas errichteten die Kinder ein Gewächshaus, um darin Pflanzen anzubauen. Dabei lernten sie, Winkel zu messen und Flächen und Räume zu berechnen.

Um gegen die „Blut- und Bodenideologie“ der Nationalsozialisten anzuarbeiten, erweiterte er das Blickfeld der Schüler über den dörflichen Erfahrungshorizont hinaus. Seine vielen Reisen, die er schon zuvor unternommen hatte, und eine pädagogische Neuerung, der Unterrichtsfilm, halfen ihm dabei.

1939 wird er als Leiter von „Schule und Museum“ nach Berlin berufen. Der Weggang von der Provinz kommt ihm gelegen, da er sich in der Hauptstadt besser im Widerstand organisieren konnte. Zusammen mit James von Moltke, Jochen von Wartenberg und anderen Intellektuellen hielt man einmal monatlich konspirative Treffen im Gut Kreisau in Schlesien ab. Kreisau wurde zum Zentrum programmatischer Überlegungen für eine gesellschaftliche Neuordnung nach Hitler.

Der zentralistische Nationalstaat sollte abgeschafft werden zugunsten einer Gesellschaft, die auf kommunalen wirtschaftlichen und kulturellen Selbstverwaltungs- Körperschaften aufbaute. Adolf Reichwein war Kandidat für das Amt des zukünftigen Kultusministers. Im Juli 1944 sollte Reichwein aufgrund seiner früheren Kontakte die Verbindung zu den Kommunisten herstellen und damit den Widerstandskreis erweitern. Am 4. Juli wurde er, nach einem zweiten Zusammentreffen, das von einem Spitzel der Gestapo in den Reihen der Kommunisten verraten worden war, zusammen mit seinem Freund Julius Leber verhaftet. Nach drei Monaten qualvoller Haft in den Folterkammern der Nazis, inzwischen waren auch die Hitlerattentäter des 20. Juli verhaftet und hingerichtet, hängte man Reichwein nach einem Schauprozeß in Plötzensee.

Die 21jährige Enkelin Reichweins, Anja Pesch, kennt ihren Großvater kaum. Sie studiert Architektur in Berlin und hat sich erst jetzt intensiver mit ihrem berühmten Ahnen befaßt. Sie möchte sich zusammen mit anderen EnkelInnen von Widerstandskämpfern treffen und die Geschichte für sich aufarbeiten. „Mich fasziniert seine geistige Haltung“, erklärt sie. „Das, was er für richtig gehalten hat, hat er auch bis zum Schluß durchgezogen.“ Elke Eckert

Die Ausstellung zum Gedenken an den 50. Todestag von Adolf Reichwein ist noch bis zum 13. November im Museum für Volkskunde, Im Winkel 6/8, in Dahlem zu sehen.