Doppelte Staatsbürgerschaft

■ betr.: „Dreigliedriges Hetzarse nal“, Erwiderung Franco Foracis auf Irina Wießners „Konservativ und manipuliert“ (Intertaz vom 15.10. 94), Intertaz vom 29.10. 94

[...] Zur Erlangung der doppelten Staatsbürgerschaft ist meines Wissens das Bekenntnis beziehungsweise die Identifikation mit unserem Grundgesetz eine primäre Voraussetzung.

Da sich die in Deutschland lebenden Türken zum Thema Kurdenpolitik beharrlich ausschweigen oder, schlimmer noch, das rigide Vorgehen der Militärs in ihrer ehemaligen Heimat zu akzeptieren scheinen, muß an ihrem Demokratieverständnis doch stark gezweifelt werden. Der Spiegel mußte sich von vielen hiesigen türkischen Vereinen unter Druck setzen lassen, als er es vor längerer Zeit wagte, über den Genozid am armenischen Volk zu berichten.

Dieses mehr als dubiose Verhalten damit entschuldigen zu wollen, daß sich die türkischen ImmigrantInnen in einem quasi rechtlosen Zustand befinden würden, ist doch – milde ausgedrückt – sehr beschönigend! [...] Werner Pfetzing, Berlin

So wie Frau Wießner von einem eher negativen (realistischen?) Bild türkischer Menschen und vor allem Männern ausgeht, so geht Herr Foraci von einem viel zu idealistischen Bild türkischer Menschen aus. Und türkische Frauen kommen bei ihm nur vor, wenn sie in der Türkei sich selbständig je hälftig für und gegen das Kopftuchtragen entscheiden. Aber

– daß TürkInnen in Deutschland die „wichtigsten Motoren einwanderungspolitischer Emanzipationsprozesse“ sein sollen, daß sie „die glühendsten Verfechter allgemeiner Minderheitenrechte“ seien, darf ja wohl bezweifelt werden (und diese Eigenschaften muß ja auch kein Mensch haben). Ich kann mich nicht an den Einsatz dieser Verfechter für die Rechte von Lesben und Schwulen erinnern (eher im Gegenteil), und

– daß die Mehrheit der Frankfurter und Berliner Imame aufgeklärt-humanistisch eingestellt seien, ist zwar sehr begrüßenswert, leider gibt es noch mehr Imame in Deutschland. Und die meisten vertreten ihren Arbeitgeber, den türkischen Staat, und leugnen zum Beispiel die Existenz eines kurdischen Volkes.

Linke Scheuklappen bei der Diskussion der doppelten Staatsbürgerschaft helfen so wenig wie rechte. Walter Ditrich, Altheim

[...] Gibt denn jemand seine Identität auf, wenn sie oder er die ursprüngliche – zum Beispiel türkische – Staatsbürgerschaft verliert? Eine Staatsbürgerschaft zu besitzen heißt doch nur, zu einem bestimmten Gemeinwesen zu gehören, nichts weiter. Einbeziehen in die Diskussion um doppelte Staatsbürgerschaft könnte man Mischformen wie etwa eine ruhende Staatsangehörigkeit. Zu derartigen Überlegungen ist Foraci nicht gewillt, statt dessen verausgabt er sich spaltenweise mit Haßtiraden gegen Irina Wießner: Eine Linke darf nicht vor doppelten Staatsbürgerschaften warnen, sonst wird sie als vermeintliche Rassistin identifiziert (und diffamiert) – und von ideologischen Heckenschützen ins Visier genommen... Jan Altmann, Berlin

[...] Es geht mir gegen den Strich, daß die immigrierte Bevölkerung und ihre Nachkommen sich noch immer vor den Deutschen rechtfertigen müssen. Rechtfertigen für ihre Existenz in Deutschland oder gar überhaupt?

Und so wichtig die Forderung nach „doppelter Staatsbürgerschaft“ ist, trägt sie meines Erachtens diesen Rechtfertigungszwang mit sich. Denn sie stellt die Kopplung zwischen Nationalität und demokratischer Partizipation in keinster Weise in Frage: Wir brauchen noch immer den maßgeblichen deutschen Paß, um als BürgerInnen dazugehören zu dürfen. Und im Zuge seines Erwerbs müssen wir uns seiner noch immer würdig erweisen.

Wenngleich die Durchsetzung der „doppelten Staatsbürgerschaft“ das antiquierte und reaktionäre deutsche Einbürgerungsgesetz aus den Angeln heben würde, hieße das noch nicht, daß die Eigenschaft „deutsch“ mit all ihren historischen und ideologischen Konnotationen endlich überwunden würde. Weil sie eben immer noch maßgeblich wäre.

Mitten in der Verfassungsdiskussion, von den Medien und auch von der kritischen Öffentlichkeit weitestgehend ignoriert, haben im Herbst 1992 ein paar deutsche und nichtdeutsche Berliner Feministinnen (Agha/Emme/Wildt/Magiriba Lwanga, 1992) einen Verfassungsentwurf ausgearbeitet, der die Artikel 3, 16 und 116 neu definiert.

Die radikale Alternative darin lautet, das BürgerInnenrecht von der Nationalität gänzlich abzukoppeln und statt dessen an das Faktum eines ständigen Aufenthaltes, ab zum Beispiel zwei Jahren, zu binden. Damit wäre das Beibehalten der von Dir genannten „Identität“ (ich frage mich, inwieweit „Identität“ an Pässe gebunden ist und ob mit diesem Argument nicht einer statistischen Ethnifizierung Vorschub geleistet wird) möglich. Jedoch erscheint mir wesentlicher, daß damit die Bundesrepublik Deutschland nicht nur der Tatsache, ein Einwanderungsland zu sein, vollständig gerecht würde, dieses alternative BürgerInnenrecht würde auch dem deutschen Nationalismus, der durch die Vereinigung von 1990 neuen Auftrieb gekriegt hat (siehe Beitrag von Irina Wießner!), den Boden entziehen. „Deutschsein“ wäre dann nur noch eine von vielen möglichen Realitäten in diesem Staat und vor allem kein Garant mehr für die Privilegien. Laura Mestre Vives,

Frankfurt am Main

Keinesfalls ist Frau Wießner eine „durchtriebene Rassistin“, wie Franco Foraci unterstellt. Sie versteht es – im Gegensatz zu ihm –, Emotion und Argumentation zu trennen. Michael Heinen-Anders, Köln

Es ist natürlich legitim, die doppelte Staatsbürgerschaft zu fordern. Sie bringt den betreffenden BürgerInnen in der Tat gewisse Vorteile, da der Zwang zur Entscheidung zwischen der alten und der neuen Staatsangehörigkeit entfällt: Man behält den alten Besitzstand und gewinnt neue Rechte hinzu. Auch für den Herkunftsstaat hat das Vorteile, da er die rechtliche Basis behält, um weiter die Einhaltung bestimmter staatsbürgerlicher Pflichten einzufordern.

Fraglich ist, ob es für das hiesige Gemeinwesen richtig ist, diesen Forderungen nachzugeben. Geteilte Loyalität ist nicht unproblematisch. Das zeigt der Artikel von Irina Wießner. Das, was dort beschrieben wird, hat sich die Autorin nicht ausgedacht, es entspricht im wesentlichen der Realität. Dem Artikel „Rassismus“ in die Schuhe zu schieben ist billig; derartiges war aber vorherzusehen. Das inflationäre Abrufen von Rassismusvorwürfen ist bekannt, es langweilt, und es hilft eher dem wirklichen Rassismus, den es ja zur Genüge gibt.

Der Zwang zur Entscheidung für oder gegen die deutsche Staatsbürgerschaft schafft Klarheit. Wer sich für das hiesige Gemeinwesen entscheidet, sollte mit allen Rechten aufgenommen werden. Wer das nicht oder noch nicht möchte, hat dafür sicher gute Gründe. Das Ziel muß sein, vernünftige Bedingungen für den Erwerb der Staatsangehörigkeit zu schaffen. H. Blume, Göttingen