: Rückkehr zur Prä-Gutenberg-Zeit
■ Der iranische Schriftsteller, Poet und Kritiker Mohammad Ali Sepanlu zum von 134 iranischen Schriftstellern unterzeichneten Aufruf gegen Zensur und Einschränkung der Meinungsfreiheit in der islamischen Republik
Mohammad Ali Sepanlu wurde 1940 geboren und lebt in Teheran. Während der Schah-Zeit saß er wegen seines Engagements gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit im Gefängnis. Die Erklärung ist in der taz vom 28. 10. dokumentiert.
taz: Was hat die iranischen Schriftsteller dazu bewogen, gerade jetzt diese Erklärung zu veröffentlichen?
Mohammad Ali Sepanlu: Man hat uns beschuldigt, mit politischen Gruppen assoziiert oder gar Instrumente einer westlichen „Kulturinvasion“ zu sein. Die Erklärung ist das Resultat einer Zeit des Widerstandes und des Aufbegehrens, einer Wut darüber, daß die Zeitungen und Zeitschriften die Schuldvorwürfe abdruckten, aber nicht unsere Antworten. Wir sind der Auffassung, daß man uns vielleicht beachtet, wenn wir alle gemeinsam eine Antwort geben.
Sie legen in der Erklärung Wert darauf, als Schriftsteller wahrgenommen zu werden, die lediglich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung verlangen. Es werden keine direkten politischen Forderungen gestellt. Aber ist eine grundlegende politische Veränderung nicht Voraussetzung dafür, daß freie Meinungsäußerung respektiert wird?
Die Schriftsteller, die die Erklärung unterschrieben haben, stehen für ganz verschiedene politische Ziele. Hier ging es jedoch darum, zu demonstrieren, daß sie sich über einen spezifischen Punkt einig sein: die Forderung nach Abschaffung der Zensur.
Glauben Sie, daß die Unterzeichnenden gefährdet sind?
Der Brief bewegt sich im Rahmen des Legalen. Wir verteidigen allgemeine menschliche Werte, die zu den anerkannten Menschenrechten gehören und durch unser Gesetz nicht negiert werden. Wenn jemand gegen uns vorgeht, ist er es, der das Gesetz nicht beachtet.
Wie wirkt sich die Zensur auf Ihre Arbeit aus?
Dem iranischen Gesetz nach können Bücher zensiert werden, wenn sie entweder die Grundsätze der Religion angreifen oder die Sicherheit des Landes gefährden. Meine Werke haben mit keinem der beiden Punkte etwas zu tun. Weshalb werden sie zensiert? Zum einen, weil die beiden für die Zensur relevanten Punkte von den Verantwortlichen auf die abenteuerlichsten Arten ausgelegt werden. Zum anderen, weil sie ihren persönlichen Geschmack zum Maßstab nehmen. Es geht so weit, daß Wörter zensiert werden – zum Beispiel das Wort „Busen“ –, die weder die Grundsätze der Religion noch die Sicherheit des Landes berühren. Also wird das Wort wohl den Zensurbeamten, der das Buch liest, in einen merkwürdigen Zustand versetzt haben. Und es handelt sich nicht um ein oder zwei Wörter. Letztes Jahr wollte ich ein Buch veröffentlichen, wofür ich nach langem Hin und Her endlich die Druckgenehmigung erhielt. Weil der Verlag aber kein Papier finden konnte mußte ich es dieses Jahr wieder der Behörde vorlegen. Diesmal hatten sie von der ersten bis zur letzten Seite etwas auszusetzen. Es gibt Gedichte, die in einem Buch genehmigt und im anderen Buch zensiert worden sind. Dasselbe Gedicht! Fünf meiner Bücher sind verboten. einige Bücher habe ich erst gar nicht zur Veröffentlichung vorgelegt. Manchmal denke ich, wir sind zur Prä-Gutenberg-Zeit zurückgekehrt. Interview: Navid Kermani
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen