Das letzte Schönreden von Salinas de Gortari

■ Unter Protesten gab Mexikos Präsident seine letzte Regierungserklärung ab

Mexiko-Stadt (taz) – Wenn Mexikos Präsident seinen Bericht zur Lage der Nation abgibt, dann ist das eigentlich eine Routineveranstaltung. Nicht so diesmal, denn der Bericht von Carlos Salinas de Gortari war gleichzeitig sein Abschied als Präsident: Am 1. Dezember übergibt er die Macht an seinen Nachfolger Ernesto Zedillo. Vor sechs Jahren war Salinas unter, gelinde gesagt, umstrittenen Umständen als Modernisierer angetreten – als Krisenmanager wird er in die Gechichte eingehen.

Schon seit dem Vortag war das Parlamentsgebäude weiträumig abgesperrt. Die Sicherheitsmaßnahmen scheinen nicht ganz unbegründet. „Wenn ich das Geld hätte“, gesteht ein Taxifahrer freimütig, „würde ich die alle in die Luft sprengen. Alles Blabla, von den verhungernden Indios redet der doch nicht.“

Der Mann sollte recht behalten. Von Indianermisere und den Armen im Lande war in der knapp dreistündigen Ansprache des Präsidenten nicht die Rede. Statt dessen präsentierte dieser den 500 frisch gekürten ParlamentarierInnen eine zufriedene Erfolgsbilanz: Krankenhäuser habe man gebaut und Stromnetze verlegt, Kokain besschlagnahmt und Investitionen ins Land geholt, Wahlgesetze reformiert und die Meinungsfreiheit ausgebaut. Zwar widmete er der „Chiapas-Tragödie“ gleich zu Anfang einen längeren Absatz, legte aber großen Wert auf die Feststellung, daß es sich bei dem zapatistischen Aufstand von Anfang des Jahres um „Momente lokaler Gewalt“ in einer „abgelegenen Zone“ gehandelt habe.

Außerdem sei der Bundesstaat in den Genuß von acht Prozent der Armutsbekämpfungsmittel gekommen, obwohl nur drei Prozent aller MexikanerInnen dort leben. „Nein, die Armut allein erklärt die bewaffnete Gewalt nicht“, so die Schlußfolgerung des Präsidenten. Statt dessen sei es der „bewaffneten Gruppe“ – zu keinem Moment nennt er das Zapatistische Volksheer beim Namen – um die „Diskreditierung der Streitkräfte, den sozialen Aufruhr im Rest des Landes, die internationale Isolierung Mexikos und um ein Szenario politischer Spannung gegangen, das die Durchführung der Wahlen erschweren sollte.“ Die Reaktion der 71 Abgeordneten der oppositionellen Partei der Demokratischen Revolution (PRD) ließ nicht auf sich warten: Sprechchöre wie „Zapata lebt! Der Kampf geht weiter!“ begleiteten fortan die Ausführungen des Staatsoberhauptes.

Offiziell entgegnen dürfen die Parlamentarier den Ausführungen ihres Präsidenten nicht – so blieben nur Sprechchöre. Als der Präsident die auf den ersten Blick tatsächlich beeindruckenden Resultate der makroökonomischen Modernisierung referierte – wie die Reduzierung der Inflationsrate von 180 auf sieben Prozent in diesem Jahr oder die Umwandlung eines zwölfprozentigen Haushaltsdefizits in einen Überschuß von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes 1993 – wiesen die linken Abgeordneten mit Pappschildern anschaulich auf die Kluft zwischen „24 Neureichen und 50 Millionen Armen“ hin. Um die Folgen der Marktöffnung gen Norden versuchte Salinas sich herumzureden: Die Exporte seien auf 39 Milliarden Dollar in den ersten acht Monaten dieses Jahres angestiegen – daß gleichzeitig für 51 Milliarden Dollar importiert worden war, erwähnt er ein paar Sätze später eher beiläufig.

Kein Zweifel, die Amtszeit von Salinas läuft aus, der nächste Job an der Spitze der Welthandelsorganisation – wo ihn zumindest die USA und die lateinamerikanischen Nachbarn haben wollen – wartet schon. Vorher aber gäbe es da noch eine Kleinigkeit zu regeln: die Übergabe des chiapanekischen Gouverneursamtes an den mutmaßlichen PRI-Gewinner Eduardo Robledo ist für den 8. Dezember vorgesehen. Auf den Transparenten, die dem Präsidenten am längsten entgegengehalten wurden, stand zu lesen: „Robledo in Chiapas bedeutet Krieg!“ Und daß das keine Drohung, sondern eher eine Feststellung ist, darüber sind sich politische Beobachter im Land weitgehend einig. Anne Huffschmid