Modrow soll schärfer bestraft werden

■ Bundesgerichtshof hebt Urteil gegen Hans Modrow wegen Wahlfälschung auf / Modrow kritisiert juristische Verfolgung Andersdenkender und sieht das BGH in der Kontinuität des Reichsgerichts

Berlin (taz) – Der frühere DDR-Ministerpräsident und PDS- Politiker Hans Modrow muß nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH) wegen seiner Beteiligung an den Fälschungen der DDR- Kommunalwahlergebnisse im Mai 1989 schärfer bestraft werden. Der 3. BGH-Strafsenat hob gestern das „außerordentlich milde“ Urteil des Landgerichts Dresden gegen Modrow und drei mitangeklagte ehemalige SED-Funktionäre in wesentlichen Punkten auf. Das Maß für Wahlfälschung zu DDR- Zeiten hatte der 3. Strafsenat bereits in einer früheren Entscheidung gegen den ehemaligen Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer festgelegt: ein Jahr Haft auf Bewährung. Denn die DDR-Wahlfälschungen seien, so der Bundesgerichtshof, als besonders verwerflich zu bewerten, weil durch die Unterdrückung der Gegenstimmen den DDR-Bürgern auch noch die „letzten rudimentären Reste einer demokratischen Wahl“ genommen worden seien.

Mit scharfer Kritik reagierte gestern Hans Modrow auf das Urteil: „Der Bundesgerichtshof orientiert sich mit seiner Entscheidung weitgehend an den Richtlinien des Reichsgerichtes, und damit geht es heute wie damals um die Verfolgung von Kommunisten und Sozialisten“, erklärte der PDS-Ehrenvorsitzende in Berlin. Das Urteil zeige, „wie tief die Widersprüche der deutschen Justiz in bezug auf Andersdenkende und politische Gegner der Herrschenden sind“. Das ursprüngliche Dresdner Urteil sei auf „Rechtsfrieden in der Bundesrepublik Deutschland“ gerichtet gewesen. Demgegenüber sei das nun ergangene BGH-Urteil ein „schlimmes Signal für den inneren Frieden in Deutschland“.

Der frühere SED-Bezirkschef war im Urteil des Dresdner Landgerichts zusammen mit den drei mitangeklagten ehemaligen Mitarbeitern wegen Anstiftung zur Wahlfälschung zwar verurteilt worden. Doch während der ehemalige Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer und der frühere SED-Stadtchef Werner Moke wegen desselben Vorwurfs zu einem Jahr Bewährungsstrafe verurteilt worden waren, waren Modrow und seine Mitarbeiter lediglich mit einer Verwarnung davongekommen. Das Dresdner Landgericht hatte allen vier Angeklagten „Schuldhaftigkeit auf unterster Grenze“ attestiert.

Modrow, dem in den letzten Jahren der DDR Sympatie für Gorbatschows Reformkurs nachgesagt wurde, war von den Dresdner Richtern auch zugutegehalten worden, daß er sich bei der SED- Parteizentrale in Berlin gegen die Wahlmanipulationen gewehrt und erst danach seinen Widerstand aufgegeben habe.

Der BGH wandte sich mit seinem gestrigen Urteil auch gegen den Freispruch Modrows von einer Beteiligung an den Wahlfälschungen Berghofers. Das Landgericht hatte diesen Vorwurf mit der Begründung fallengelassen, der Oberbürgermeister und ein Mitangeklagter seien „von sich aus entschlossen gewesen, der Fälschungsaufforderung der Berliner Parteizentrale nachzukommen“. Sie hätten also nicht mehr durch die Beihilfe des Dresdner SED- Bezirkschefs Modrow unterstützt oder angestiftet werden können.

Demgegenüber vertrat der 3. Strafsenat jetzt die Auffassung, eine strafbare Beteiligung Modrows an den von Berghofer begangenen Wahlfälschungen liege auch deshalb nahe, weil er als ranghöchster Vertreter der SED im Bezirk Dresden die sogenannte Organisationsherrschaft über die verlangten Wahlmanipulationen hatte.

Einen weiteren Grund, das nach Ansicht der Modrow-Verteidigung „friedenstiftende und gewissenhafte“ Strafmaß der Dresdner Kammer aufzuheben, hatte der Vorsitzende Richter Wolfgang Ruß bereits in der mündlichen Verhandlung genannt. Ihm sei ein „derartig extrem mildes Urteil in 30 Jahren nicht untergekommen“. Deshalb müsse die Meßlatte an die Urteilsbegründung „besonders hoch“ angelegt werden. Zu hoch, als daß der Dresdner Urteilsspruch vor dem BGH hätte bestehen können. eis