Ein Kino gegen die Tabus

■ Zwischen Godard und „Danish Bedside“: Das Bremer „Cinema“ feiert 25 Jahre Programmkino

Wenn das Viertel in der gesamten Zeit seit dem Ende der stürmischen Sechziger ein Zentrum hatte, dann dieses hier: ein kleines Kino am Ostertorsteinweg 105 mit dem geradezu existenzialistischen Titel „Cinema“. Eine Institution, die sich kaum verändert hat und die das Ostertor verkörpert wie das Riesenrad den Freimarkt. Und das seit genau 25 Jahren. An diesem Wochenende wird darum ein bißchen gefeiert, mit Filmen von damals.

Seit 25 Jahren ist das „Cinema“ aber auch das eigenartigste Kino in Bremen. Über es wurde am lautesten geschimpft und gestritten; und lange Zeit war es auch das einzige vernünftige Kino der Stadt. Man braucht sich nur das Filmprogramm der Konkurrenten am 7.11. 1969 anzusehen – der Woche, in der das Cinema mit der „Chronik der Anna Magdalena Bach“ von Jean Marie Straub eröffnet wurde. „Lesbos“ im City, „Warum haben ich bloß ja gesagt“ im UT und „Ein toller Käfer“ in der Sögestraße waren die Alternativen. Es war die Zeit des großen Kinosterbens und für die vermeintlichen Fachleute vom Metier und den Medien galt es als absurd, ein kleines Kino neu zu eröffnen. Aber Gerd Settje und die sechs Gesellschafter, die mit Krediten das Kino finanzierten, waren auf eine Marktlücke gestoßen.

Sie mieteten die heruntergewirtschafteten „Kammerlichtspiele“ und zeigten die damals für die meisten noch völlig unbekannten Werke der internationalen Filmkunst, viele experimentelle Werke – und, in sogenannten „Clubvorstellungen“, auch „skandinavische und französische Filme“, kurz: Sexfilmchen, die den ganzen Spaß finanzieren helfen sollten.

Für die anständigen Bremer war das „erste Programmkino der BRD“ somit von Beginn an ein Dorn im Auge. Denn neben den dänischen Dämlichkeiten gab es dort auch politische Propaganda: Filme aus der DDR predigten Kommunismus, einer der Publikumsrenner des Jahres 1973 war die Originalfassung einer „Peking Oper“. In einer Reihe wurden außerdem verbotene Nazifilme wie „Jud Süß“ und „Triumph des Willens“ aufgeführt. Grund genug für einen Bremer Publizisten, die Kinoleute als „Ratten“ und „antisemitisch“ zu bezichtigen. In einem Prozeß wurde er dann prompt wegen Beleidigung verurteilt. Und auch die beschlagnahmten Filme eines „Erotikfestivals“ mußte der Staatsanwalt nach einer gerichtlichen Entscheidung wieder zurückgeben.

Danach ließ die Bremer Justiz das Cinema in Ruhe, und so gab es dort nie Schwierigkeiten mit der amtlichen Filmfreigabe. Gerd Settje war und ist der Meinung, es dürfe keine Tabus im Kino geben. Da paßten ihm auch die recht klebrigen Filme eines Otto Muehls ins Porgramm oder ein bis heute geheimnisumwitterter belgischer Film über einen Bauern, der sein Schwein liebt. Diese Tradition wurde vor einigen Monaten weitergeführt als die Betreiber des Kinos sich auch von den Protestaktionen nicht davon abhalten ließ, den Film „Beruf Neonazi“ zu zeigen.

Bis Anfang der 80er Jahre fuhr das Cinema gut mit seinem gemischten und immer spannenden Programm – im Grunde zogen sich die Kinomacher damit ihr eigenes Publikum heran. Vor einer drohenden Pleite wurde das Kino durch den großen Erfolg von Godards „Weekend“ gerettet. Seit 1971 gab es in schöner Regelmäßigkeit die 10.000 Mark des Bundesfilmpreises für das beste Kinoprogramm, und viele junge deutsche Filmemacher stellten hier selber ihre ersten Werke vor. Wim Wenders, Werner Schröter, Helge Sander Brahms, Adolf Winkelmann und später dann auch Rosa von Praunheim und Detlev Buck dikutierten hier mit dem Publikum. Dann das alte Lied: Immer, wenn ihre Filme größer und erfolgreicher wurden, gaben die Verleiher die Filme an die größeren Kinos.

Zudem hatten die Kinoketten die Verleiher lange Jahre unter Druck gesetzt, so daß es faktisch einen Boykott der Programmkinos gab, aber mit der Zeit bekam auch das Cinema Erstaufführungen von größeren Filmen. So wurde das Programm respektabel, aber auch normaler und inzwischen gab es auch Konkurrenz von der Schauburg. Nach dem Umbau von 1974 war das Cinema mit 134 statt 220 Sitzen kleiner geworden – dafür gab es dann das Cafe: eine Goldgrube, die manchmal mehr Umsatz zu machen schien als das Kino selber.

Heute hält sich das Cinema gerade mal so aufrecht, wie Settje erklärt. Durch den Weggang des Kommunalkinos nach Walle fielen regelmäßige Einnahmen weg und auch die langen Filmnächte, die früher oft ausverkauft waren, ziehen nicht mehr so gut. Freilich habe das Kino „nie Fett ansetzten können“, und dies sei bisher „ein schlechtes Jahr“. Aber zwei Eigenschaften zeichneten die Betreiber des Cinemas immer aus: Sie liebten das Kino und sie waren gewiefte Geschäftsleute. Man kann also auf weitere 25 Jahre Cinema hoffen.

Wilfried Hippen