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Ein Dutzendmann – der brutalste von allen

■ KZ-Kommandant und Spießbürger: Anton Burgers heimliche Wiedereingliederung in die deutsche Normalität

„Das Beunruhigende an der Person Eichmanns war doch gerade, daß er war wie viele und daß diese Vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren und sind.“ Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem

Eine schwarzglänzende Kladde, finsterste Aufzeichnungen, Totenbuch. „Das war alles andere als schön. Mir ist es sehr, sehr schlecht gegangen beim Schreiben“, sagt Karla Müller-Tupath, und wie zum Beweis hält sie das Heft hoch. Das ist eine der Kladden, in der sie fein säuberlich den Horror festgehalten hat. Rechercheergebnisse, Gesprächsnotizen, Protokolle der zähen Verfolgung eines deutschen Mannes. Über mehr als ein Jahr war die Bremer Radiojournalistin einem Toten auf der Spur, hat in Archiven gewühlt, mit ehemaligen ArbeitskollegInnen, mit Familienangehörigen geredet – und mit den Opfern. Denn der Tote, auf dessen Spur sich die Bremerin gesetzt hat, dieser Tote heißt Anton Burger, der letzte aus dem Stab des „Endlösers“ Adolf Eichmann, der mit internationalem Haftbefehl gesucht worden war. „Verschollen in Deutschland“ heißt das Buch vom Leben des Anton Burger.

Akribisch zeichnet Karla Müller-Tupath das Leben des Anton Burger nach, am Ende wissen wir um die Verbrechen des Mannes, um die Umstände seines Untertauchens mitten in Deutschland, darum, wie es kommen konnte, daß Burger als deutschen Spießer im Bette starb. Doch die Person bleibt fremd. „Servil, gnadenlos, banal, brutal, das war Anton Burger“, sagt Karla Müller-Tupath. Doch so genau sie auch die Nazi-Karriere des Mannes nachzeichnet, auch nach der Lektüre des Buches bleibt Burger ein Phantom, einer, dessen Verbrechen sich aneinanderreihen lassen, dessen Person aber hinter seiner Normalität verschwindet. Eine Schwäche des Buches, aber auch eine gewollte. „Ich bin nicht in seine Seele gekrochen. Die interessiert mich nicht.“ Der Mann sei ihr nicht nahegekommen, weil die Opfer ihr nahegekommen seien. Und aus deren Perspektive hat sie auch geschrieben. „Den Kommandanten hat man hassen können, das Würstchen in Essen war mir nur eklig“, sagt die Autorin.

„Nach dem ersten Buch hab ich gesagt ,nie wieder'“, sagt Karla Müller-Tupath, die schon einmal, vor zwölf Jahren, das Leben eines alten Nazis nachgezeichnet hat. Aber dann, im Sommer letzten Jahres, hat es sie noch einmal gepackt. Da nämlich bekam sie Wind von Neuigkeiten im Fall Burger. Alle Ermittlungen gegen den SS-Mann waren in den sechziger Jahren bei der Bremer Staatsanwaltschaft zusammengefaßt worden. Aber auch für die Bremer ErmittlerInnen war Burger vom Erdboden verschluckt. Bis sich 1991 eine neue Spur auftat. Da nämlich bekam Simon Wiesenthal in Wien Post, anonym: Eine Mappe mit Unterlagen, die Wiesenthal schon bei flüchtiger Durchsicht als Sensation erkannte. Die Papiere kamen zweifelsfrei von Anton Burger. Das hieß, Burger lebte, und zwar in Deutschland, wahrscheinlich in Bayern. Zwei Jahre zogen sich die Ermittlungen hin, bis schließlich im Juni 1993 zwei Kommissare auf die heiße Spur nach Essen stießen. Zu spät. Da war Anton Burger schon eineinhalb Jahre tot. Am Abend des ersten Weihnachtstages 1991 war ein Anton Bauer in einem Essener Krankenhaus an Krebs gestorben. Bis zuletzt hatte Anton Bauer das Geheimnis seines Lebens nicht preisgegeben. Mehr als ein Vierteljahrhundert hatte Burger mit einer Frau zusammengelebt, ohne daß die auch nur geahnt hätte, wer dieser Mann war. Ein Dutzendleben.

Wer dieser Mann war: „Haben Sie ,Schindlers Liste' gesehen?“ fragt Karla Müller-Tupath. „Burger war wie der Lagerkommandant Göth, nur ein bißchen primitiver. Eichmann hat einmal gesagt, er hätte zwei Kategorien von Leuten: Welche, die Befehle sofort und ohne Zaudern ausführen und Bedenkenträger. Burger war in der ersten Kategorie.“ Anton Burger, 1911 in Niederösterreich geboren, aus einfachen Verhältnissen. Ehe er irgendwo Wurzeln schlagen konnte, geriet er in den Einflußbereich der Nazis, immer auf der Suche nach Aufstieg und festen Strukturen. Erst trat er der SA bei, als er dort für sich keine Perspektive sah der SS. Und da machte er als junger Mann eine glänzende Karriere. Gerade 27 Jahre war er alt, als er in der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ begann, ein Jahr später in Prag und ab 1941 in Brünn. „Für Eichmann und seine Männer wurde die Zentralstelle zum Karrieresprungbrett“, schreibt Karla Müller-Tupath. Burger wurde nach oben mitgerissen. Von einem Garnichts wurde er plötzlich in den Stand eines Herrn über Leben und Tod befördert.

Er war der brutalste von allen.“ Den Satz hat die Bremer Journalistin oft gehört, wenn sie nach Burger fragte. Theresienstadt hat insgesamt drei Kommandanten gesehen, zwischen den Kommandanten Seidl und Rahn war Burger vom Juli 1943 an nur sieben Monate im Amt. Sieben Monate, in denen mehr als 10.000 Menschan nach Auschwitz deportiert wurden. Sieben Monate, die Ära Burger: Im September kamen die Kinder aus dem Ghetto von Bialystok, die mehrere Tage in Theresienstadt blieben, ehe sie mit Burgers Hilfe nach Auschwitz weitergeschickt wurden. Wieviele Kinder es waren, das weiß niemand. Niemand hat sie je gezählt, die Namen registriert. 1.200 sollen es gewesen sein, die in Auschwitz direkt von der Rampe ins Gas geschickt wurden.

Anfang 1944 wurde Burger nach Griechenland versetzt. Er war dabei, als 7-8.000 Juden deportiert wurden. Und einmal legte er persönlich mit Hand an. Als die Deportierten auf der Insel Lefkadas am Kai auf ihr Schiff warteten, erschoß der SS-Mann Burger vor aller Augen einen Häftling. Warum? Vielleicht, weil der Mann ein Stück Brot von einem griechischen Geistlichen angenommen hatte, vielleicht auch nur, weil er sich mit dem Popen unterhalten hatte, da widersprechen sich die wenigen Zeugenaussagen.

Vom Kommandanten zum Würstchen in einer Essener Zweizimmerwohnung. Im Mai '45 war er verhaftet worden, aber so ganz schien den Amerikanern nicht klargewesen zu sein, wer ihnen da ins Netz gegangen war. Als er 1947 von der Hinrichtung seines Nachfolgers in Theresienstadt erfuhr, floh Burger aus dem Internierungslager. „Aber da hatte er schon den Anschluß an die große Nazi-Fluchtwelle verpaßt“, sagt Karla Müller-Tupath. Er schlug sich unter diversen Decknamen mit Gelegenheitsarbeiten durch. Die organisierte Hilfe, die so vielen der alten Kameraden den Weg nach Südamerika geebnet hatte, diese Hilfe bakam Burger nicht. Eine Handvoll alter Bekannter – das reichte zum Überleben.

Noch einmal hatte er eine knifflige Situation zu überstehen: Im März 1951 wurde er im Wohnort seiner Eltern und seiner Ehefrau verhaftet, doch keinen Monat später gelang ihm wiederum die Flucht. Burger besorgte sich wieder falsche Papiere, tauchte in Salzburg unter, schlug sich durch. Er log sich Biographien und Namen zurecht, wie er sie gerade brauchte. Bis er am Jahreswechsel 1961/62 einen Essener Kaufmann kennenlernte. Die beiden Männer fanden sich – als Brüder im Geiste. Und Burger bekam seinen ersten richtig festen Job, ohne Zeugnisse, aber mit Protektion. Wilhelm Bauer: „Servil, banal“ – so charakterisierten ihn auch die KollegInnen. Burger-Bauer, das war einer, der vor allem seine Pflicht erfüllte, und sonst nicht wieder auffiel. Karla Müller-Tu-path: Das war das perfekte Mimikri. Der Mann hat gelebt, wie tausende Männer seines Alters auch. Er war ein Spießer, der den Fernseher abgestellt hat, wenn eine Sendung über den Nationalsozialismus kam.“ Ein Dutzendmann.

Burger wurde arbeitslos, bekam einen neuen Job, lernte eine Frau kennen, mit der er bis zu seinem Tode zusammenblieb. Burger fiel nicht auf, das hat ihm das Leben gerettet. Auf die Bücher des rechtsextremen Druffel-Verlages war er abonniert, schrieb fleißig Randbemerkungen in die Rechtsaußen-Deutungen des zweiten Weltkrieges. „Ich könnte einiges erzählen“, hat er ein paarmal gesagt, dann aber doch den Mund gehalten. Als Willi Brandt in Warschau niederkniete, da soll Burger vor dem Fernseher einen Herzanfall bekommen haben. Der Mann war außer sich. Aber sonst lebte er ein normales Leben. Und wenn Simon Wiesen-thal nicht die alten Papiere Burgers zugeschickt bekommen hätte, dann würde heute noch niemand wissen, wer da am ersten Weihnachtstag in Essen gestorben ist.

Ein Killer, der perfekt in die deutsche Gesellschaft gepaßt hat. „Ich bin noch nicht fertig mit diesem Mann“, sagt Karla Müller-Tupath. Beim Schreiben hatte sie Burgers Foto auf dem Schreibtisch stehen. Als sie das Manuskript längst abgegeben hatte und auch das Bild wieder aus der Druckerei zurückgekommen war, „da hab ich das ganz automatisch wieder auf den Schreibtisch gestellt“. Burger war einer von Vielen. „Schrecklich und erschreckend normal“, sagt Hannah Arendt. Jochen Grabler

Karla Müller-Tupath: „Verschollen in Deutschland“; Konkret Literatur Verlag; 28 Mark

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