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Von Anfang an modern

Das Museum Folkwang in Essen zeigt die Fotografinnen der Weimarer Republik  ■ Von Stefan Koldehoff

Sie habe gar nicht gewußt, wie wichtig die Zeit damals gewesen ist und wie viele zeitgenössische Fotografinnen es gegeben hat, sagt die weißhaarige Frau im Hosenanzug, lächelt in die Runde – und kokettiert: „Man weiß nicht, daß man vorläuft, wenn man läuft. Das erfahre ich ja erst jetzt. Damals war es einfach nur der Zeitgeist.“ Ellen Auerbach ist 88, lebt seit 1937 in New York und gehört zu den ganz wenigen, die noch miterleben können, wie ihrem Werk nun die Aufmerksamkeit zukommt, die es seit Jahrzehnten verdient hätte.

„Fotografieren hieß teilnehmen“ ist der Titel der Ausstellung, die Ute Eskildsen als Leiterin der Fotografischen Sammlung im Essener Museum Folkwang zusammengetragen hat. Die Fotografinnen der Weimarer Republik sind schon seit einigen Jahren ihr Thema; ein schwieriges, denn Archive aus jener Zeit sind kaum erhalten geblieben: „Gegen Ende der Weimarer Republik gab es durch Ausstellungen, Bücher, Pressemitarbeit eine ungewöhnlich starke Präsenz gerade der fotografierenden Frauen in der Öffentlichkeit. Ihnen bot sich mit der Durchsetzung der Kleinbildkamera und der Wandlung der nicht länger an der Malerei orientierten Fotografie zum Massenmedium die Chance zu selbstverantwortlichem Arbeiten und zur Teilnahme am modernen Leben. Das ist heute fast vergessen.“

Die Kunst, Kitsch zu fotografieren

Deshalb hat Ute Eskildsen ebenfalls seit vielen Jahren einzelne Fotografinnen der Weimarer Zeit in monographischen Kabinettausstellungen wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt, Aenne Biermann etwa, Lotte Jacobi oder das Fotografinnenduo ringl + pit. Unter diesem Namen hatten Ellen Auerbach, die damals noch Rosenberg hieß, und Grete Stern 1930 ein Werbe- und Portraitstudio in Berlin eröffnet. „Einen tieferen Sinn hat dieses Pseudonym nicht“, erklärt Ellen Auerbach mit jenem milden Lächeln, das erkennen läßt, wie oft sie diese Frage in den zurückliegenden Jahrzehnten hat beantworten müssen. „Aber wir wollten uns nicht Rosenberg und Stern nennen, das hätte zu sehr nach Damenkonfektion geklungen. Also wurde Grete ringl, und ich war pit.“ Gemeinsam bemühten sich beide um Aufträge aus der Industrie und waren dabei mehr als einmal gezwungen, Kompromisse mit der Werbebranche einzugehen. „Wir mußten entsetzlich viel Haarwasser fotografieren und haben natürlich auch darauf geachtet, daß wir etwas verkaufen konnten. Zum Muttertag etwa haben wir einmal unserer Wirtin die Haare weiß gepudert, und ein befreundeter Malermeister legte ihr zärtlich Geschmeide um den Hals. Das Bild war entsetzlich kitschig, aber es wurde gekauft.“

Eben um diese Ambivalenz künstlerischer Produktion der Weimarer Zeit geht es auch Ute Eskildsen. Sie zeigt in ihrer Auswahl von 53 heute zum großen Teil unbekannten Fotografinnen und deren Aufnahmen aus den Jahren 1924 bis 1936 – darunter eine schier unglaubliche Zahl zeitgenössischer Vintage-Abzüge, die sich Ute Eskildsen aus Sammlungen zwischen Athen und New York zusammengeliehen hat – bewußt nicht allein die avantgardistischen Ansätze jener Jahre, sondern konträre Positionen, unterschiedliche Einzelansätze, die alle das Streben nach Selbständigkeit und die Idee der eigenen Beweglichkeit eint. Allein die Gleichzeitigkeit in der Herstellung der Exponate ist das entscheidende Bindeglied dieser Ausstellung. Es geht bewußt nicht darum, den Nachweis einer etwa vorhandenen weiblichen Ästhetik in der Fotografie zu führen. Die daraus zwangsläufig resultierende Stil- und Programmvielfalt stellt sich durch die Fülle der rund 300 Exponate als ein Manko des Konzeptes heraus. Zu sehen ist das platt einer Dürer-Zeichnung nachgestellte „Bauernmädchen“ des von den Nationalsozialisten geförderten NSDAP-Mitglieds Erna Lendvai-Dircksen („Das germanische Volksgesicht“) ebenso wie die kessen Modeaufnahmen der zunächst mit Berufsverbot belegten und dann 1943 in Majdanek ermordeten Else Neuländer, die sich Yva nannte. Ihr von hinten aufgenommenes Portrait der Schauspielerin Asta Nielsen ist auch das Titelbild des umfassenden Kataloges, der bei hervorragender Abbildungsqualität als Kompendium über die weibliche Fotografie der Weimarer Republik zum Standardwerk werden wird.

Die studierte Kunsthistorikerin Lotte Jacobi übernahm Ende der zwanziger Jahre das so renommierte wie traditionelle Fotoatelier ihres Vaters und schaffte die Umwandlung in ein progressives Studio. Hier entstanden so wunderbare Aufnahmen wie das Doppelbildnis von Klaus und Erika Mann in Hemd und Schlips oder das scheinbar nur aus dunklen Augen bestehende Kopfportrait Lotte Lenyas mit Zigarette.

Ein Lächeln über die späte Anerkennung

ringl + pit hatten diese Umstellungsschwierigkeiten nicht. „Wir waren von Anfang an modern, weil wir ja vorher noch nie fotografiert hatten und uns deshalb auch nicht umstellen mußten“, erklärt sich Ellen Auerbach die Anerkennung, die ihre Bilder heute finden. „Was heute über uns gesagt wird, klingt trotzdem gut.“ Ihre Partnerin Grete Stern lebt heute in Buenos Aires. Die strapaziöse Reise nach Essen mochte sich die 90jährige nicht mehr zumuten. Und auch für Ellen Auerbach kommt die Entdeckung ihrer Arbeiten ein wenig spät. „Ich war die ersten 75 Jahre meines Lebens anonym. Das war eigentlich sehr schön. Daß man jetzt wieder auf mich aufmerksam geworden ist, hängt wohl auch damit zusammen, daß ich Jüdin bin und verfolgt war – das paßte gut. Aber andersherum wäre es vielleicht schöner gewesen, weil ich jetzt so müde bin.“

„Fotografieren hieß teilnehmen. Fotografinnen der Weimarer Republik“. Museum Folkwang, Essen, noch bis zum 8. Januar 1995 (danach in Barcelona und New York).

Katalog (nur im Museum erhältlich): 332 Seiten mit unzähligen Sw.- und Duotone-Abbildungen.

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