: Mein Geld hat jetzt ein anderer
■ Ein Spekulant kann 1.000 Prozent Gewinn machen, aber nur 100 Prozent Verlust / Ein neues Taschenbuch bietet Amüsement und Lehre: Kursbuch Spekulation
Kann man über Geld, Spekulation und Millionenverluste seriös und auch noch witzig schreiben, zudem packend und spannend? Jürgen Gaulke kann es.
Als erstes allerdings, so muß ich gestehen, habe ich nicht den Text seines „Kursbuches Spekulation“ gelesen, sondern die Mottos und Anekdoten im Buch gejagt: Dabei kann mir als gequältem Spieler der alte Börsentrost – „Mein Geld ist nicht weg, es hat nur ein anderer“ – allenfalls ein mühsames Grinsen abringen, hatte ich doch nie den Mut des alten Templeton, der 1939 seinem Broker den Auftrag gab, „von jeder Aktie, die weniger als 1Dollar kostet, für 100 Dollar“ zu kaufen. Templeton hatte seinen Einsatz nach vier Jahren vervielfacht. Ich jedoch bin bislang über meine alte Tante Glücksspirale nie hinausgekommen: Da kann man wenigstens von großen Gewinnen träumen – und sich auf Jahre im voraus seine Verluste ohne jegliches Risiko addieren. Templeton hätte ja auch Pech haben können – hätte er?
Der Begriff Spekulant ist verbunden mit dem Ruch ungerechtfertigter Bereicherung und Habgier. Devisenschieber mag man um ihr Geld beneiden, um ihren Ruf jedoch nicht: „Die Berufsangabe ,Spekulant‘ gegenüber der künftigen Schwiegermutter dürfte junge Männer und Frauen jeder Aussicht auf Wohlwollen berauben“ – inwiefern diese Erfahrung biographischen Hintergrund hat, verschweigt der Autor. Ist aber auch nicht wichtig, tröstet er doch süffisant: „Nicht jeder kann als Spekulant erfolgreich sein, sonst würde ja niemand mehr arbeiten wollen.“
Und damit beginnt das Buch mit der Theorie und Geschichte der Spekulation und greift tief in die antike Kiste: „Ist dies der Rat, nach dem du suchst? – Verdiene Geld. Verdiene es, wenn du kannst, auf anständige und ehrliche Weise. Falls nicht, verdiene es irgendwie“, soll Horaz gesagt haben.
Jürgen Gaulke beginnt diese Geschichte mit der Bibel, gleich kurz nach Adam und Eva, und beschreibt den Kuhhandel des Joseph aus Ägypten als erste Spekulation der alten Welt unter christlichem Sein, schwingt sich, ohne Netz auf dem Trapez spekulierend, durch die Menschheitsgeschichte („All dies ist Wahnsinn“, ruft die Stimme der Vernunft. Doch wer, mein Freund, ist rational in diesem Rausch? Es herrscht die Leidenschaft, Vernunft gibt nach“; Pope), über Spekulation mit Waffen und den Kriegstod an sich („Das Geld ist der Gott unserer Zeit, und Rothschild ist sein Prophet“; Heine), über die schwarzen Börsentage und -kräche („Der Staat kann die Dummen nicht daran hindern, ihr Geld loszuwerden“; Delbrück) bis hin zum 91er Putsch in der Sowjetunion („Wenn du einen Freund brauchst, kauf dir einen Hund“; Icahn).
Und neben den Geschichten über die großen Spekulationen der Geschichte, neben den Anekdoten, Überlieferungen und verbürgten Biographien der Gentlemen und über das Kabinett der Räuber in der Spekulantenzunft lernt man noch etwas über Devisenreserven, typische Phasen eines Crashs, Chaostheorie, Warentermingeschäfte und Junk-bonds, denn: „Nur wenn man seine Rechnungen nicht begleicht, kann man hoffen, im Gedächtnis der Geschäftswelt weiterzuleben“ (Wilde).
Doch geht es im zweiten Kapitel und nach den ersten 110 Seiten erst richtig los. Nachdem wir jetzt schon einige Vorkenntnis haben, können wir bereits fachsimpeln: Über die Funktion der Spekulation als Motor der Börse zum Beispiel, des Orts, „an dem die meisten Teilnehmer von wenigen Experten über den Tisch gezogen werden“ und Berufsspekulanten nur dadurch Erfolg haben können, daß sie Amateuren nach klassischer Hütchenspielermanier den Schlips ausziehen, ihnen um den Hals legen und dann grinsend eine lange Nase zeigen: „Auch wenn sie dauernd Geld verlieren, können einige Spekulanten weiter spekulieren. Für sie ist die Spielleidenschaft das Hauptmotiv.“
Oder über die Theorie der Spekulation, Terminhandel und klassische Ökonomie von Mill bis Keynes, über Taktik und Trading, Charakter, Scharfsinn, Intuition und Phantasie: „Das ist das Schöne an der Börse: Ein Spekulant kann tausend Prozent Gewinn machen, aber nie mehr als hundert Prozent Verlust“ (Abs).
Doch ist das Buch keine Aufforderung zum hemmungslosen Wechsel von den einarmigen zu den leichtfüßigen Banditen auf dem Börsenparkett. Im Praxisteil des Buches werden Chance und Risiko abgewogen. Ein Aktien- Abc erklärt Art und Funktion der Anteilsscheine, Kurszettel und Analyse („Prophezeiungen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen“; Shaw).
Und dann wäre es beinahe technisch, nüchtern und schrecklich sachlich geworden, mit Chancen, Charts und Checklisten, mit Betafaktoren und Zyklentheorien – wenn die Mottos nicht wären: „Es gibt tausend Möglichkeiten, sein Geld auszugeben, aber nur zwei, es zu erwerben. Entweder wir arbeiten für das Geld – oder das Geld arbeitet für uns“ (Baruch).
Fazit: Selten habe ich mich beim Lesen eines Wirtschaftsfachbuches mitten in der Nacht so köstlich amüsiert und gleichzeitig das Gefühl gehabt, auch noch etwas zu lernen über die großen und kleinen Spinnereien der großen, weiten Börsenwelt. Ob ich am Ende tatsächlich alle Gesetze, Rezepte und Risiken kenne, um „rational spekulieren“ zu können, wie es der Klappentext des Buches prophezeit, vermag ich nicht zu sagen. Ich bin zwar ein Spieler, aber bitte nicht um mein eigenes Geld – oder allenfalls bei relativ gut kalkulierbaren Risiken.
So werde ich auch heute konventionell mein Haushaltsbuch führen. „5. November, Ausgaben: Glücksspirale. Einnahmen: taz- Honorar“ – bleibt zwar ein Minus, aber das Buch ist ein Gewinn. Merke: „Spekuliere nur, wenn du deine ganze Zeit darauf verwenden kannst.“ Andreas Lohse
Jürgen Gaulke: „Kursbuch Spekulation“. Fischer-Tb. Wirtschaft, 1994, 380 Seiten, 19,90 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen