Überschießende Polemik

■ Ein Materialienband zur Neugestaltung von KZ-Gedenkstätten im Osten

In den KZ-Gedenkstätten der neuen Bundesländer wurde seit der Wiedervereinigung vieles verändert. Teilweise entfernte man die aus DDR-Zeiten stammenden Ausstellungen völlig. Abgesehen davon, daß die frühere Gedenkstättenarchitektur zum Teil tatsächlich stark ideologisch geprägt war, verwundert es, mit welcher Eile vorgegangen wird. Um Gestaltungsfragen geht es dabei nur an der Oberfläche, im Kern wird die „richtige“ Interpretation der jüngsten deutschen Geschichte und deren wissenschaftliche Aufarbeitung verhandelt.

In krassem Widerspruch zu dieser „neuen Wissenschaftlichkeit“ steht allerdings, daß viele der Dokumente in den Lagermuseen einfach verschwinden und nicht mehr einsehbar sind. Das fiel auch den Autoren von „Hitlers zweimal getötete Opfer“ auf, einer Materialiensammlung zu KZ-Gedenkstätten, Straßennamen und Denkmälern in der ehemaligen DDR. Als Herausgeberin ist Monika Zorn genannt, von den Autoren erfährt man nichts, was von seiten des Freiburger Ahriman-Verlags damit begründet wird, daß in Deutschland auch heute noch Berufsverbote zu fürchten seien. „Westdeutsche Endlösung des Antifaschismus auf dem Gebiet der DDR“ lautet der Untertitel, man gibt zu erkennen, daß neben nackten Fakten auch Polemisches zu finden sein wird.

Ein Teil der Recherche ist der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück in Brandenburg gewidmet. Dort könne man bereits sehen, was unter „Neugestaltung“ zu verstehen ist: Im Lagermuseum wurde die aus DDR-Zeiten stammende Ausstellung abgeräumt, die neue Präsentation glänzt mit nichtssagenden Details aus dem Lagerleben und einem sterilen Arrangement, so daß man in einer Volkskundeausstellung gelandet zu sein meint. Nicht genug damit, auf den Schrifttafeln, die das Leben im KZ begreiflich machen sollen, heißt es zum Beispiel, ab September 1942 seien die ersten 300 weiblichen Häftlinge „beschäftigt“ und im Jugendschutzlager Uckermark im Jahre 1944/45 „100 Arbeitsplätze geschaffen“ worden. Bedenkenlos wird über die Vernichtungsmechanismen (in Ravensbrück starben Zehntausende Häftlinge) im ehemaligen KZ heutiger Arbeitsmarktjargon gestülpt. Mangelndes sprachliches Feingefühl dürfte verantwortlich sein, und Verunsicherung angesichts der unterschiedlichen Interessengruppen, die die Arbeit in den KZ-Gedenkstätten mit Argusaugen beobachten.

Die Probleme mit dem Band beginnen dort, wo die Grenze von der Polemik zur böswilligen Unterstellung überschritten wird. Dr. Günther Morsch zum Beispiel, Gedenkstättenleiter in Sachsenhausen, wird eben mal kurz „Lagerleiter“ genannt, damit man sich flugs mit „pardon, Gedenkstättenleiter“ korrigieren kann; angesichts des Brandanschlages auf die Jüdische Baracke in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen wird in einer Fußnote gefragt, wer denn wohl die Auftraggeber gewesen sein könnten. Unter Umständen die neue Gedenkstättenleitung, suggeriert der Subtext der Fußnote, damit die „ausgezeichnete DDR-Dokumentation zum jüdischen Widerstand“ ein für allemal verschwindet?

Bedauerlich, daß die stimmigen Detailbefunde des Sammelbandes durch solche Entgleisungen immer wieder entwertet werden. Eine sachliche Auseinandersetzung über die ästhetische Gestaltung von Gedenkstätten (die übrigens nicht nur in Deutschland heftig umstritten ist) wäre angesichts der jüngsten Diskussion notwendiger denn je. Jürgen Berger

Monika Zorn (Hrsg.): „Hitlers zweimal getötete Opfer. Westdeutsche Endlösung des Antifaschismus auf dem Gebiet der DDR“. Ahriman-Verlag, Freiburg 1994, 394 Seiten, 38 DM.