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■ Das Schriftsteller-Parlament tagt – ohne Wole SoyinkaSein Werk gehört der Welt

Neunhundertunddrei. Das ist nach Angaben des Internationalen Schriftstellerparlaments die Zahl der Schriftsteller, die seit Januar dieses Jahres verfolgt, schikaniert, verhaftet oder ermordet wurden. Und dies ist eine der Geschichten, die sich dahinter verbergen: Wole Soyinka, der nigerianische Literaturnobelpreisträger, darf nicht zur Versammlung des Schriftstellerparlaments nach Strasbourg reisen.

Es war Mitte September, als die Militärjunta Soyinka, ihren schärfsten Gegner, unter Hausarrest stellte. Einige Wochen zuvor hatte er es gewagt, einen „Marsch für die Freiheit“ durch Lagos anzuführen. Soyinka hatte vor den Augen der Polizei seine Verdienstmedaille in den Staub geworfen und gerufen: „Dies ist ein faschistisches Land!“ Danach brachte er vor dem obersten Gericht Nigerias die Klage an, die Regierung von General Sani Abacha sei nicht verfassungskonform. Er wurde, wen wundert's, abgewiesen. Man ließ ihn daraufhin weder zur Frankfurter Buchmesse noch zu einem ersten Treffen des Schriftstellerparlaments nach Lissabon ausreisen. Nach seinem Reisepaß ist ihm nun auch noch ein von der Unesco ausgestelltes Dokument, ein travel permit als „Botschafter des Guten Willens“, abgenommen worden: eine schöne Belehrung über den Wert von UN-Dokumenten, erteilt von den Behörden eines Landes, das ebendiesen Vereinten Nationen angehört.

Wole Soyinka, an dessen Beispiel eine „bösartige, primitive und dumme“ (Soyinka) Junta der Weltöffentlichkeit demonstriert, wieviel allgemeine Erklärungen der Menschen- und Bürgerrechte taugen, ist einer jener Schriftsteller, die Jacques Derrida vor Augen hat, wenn er neue Formen des Engagements fordert. Soyinka, in Nigeria geboren, hat in Leeds studiert, war Dramaturg in London und Literaturdozent in Cambridge, bevor er als erster Afrikaner 1986 den Nobelpreis erhielt. Sein Werk gehört der Welt, sein Schicksal aber liegt in den Händen dumpfer Provinzdiktatoren, „sadistisch wie kleine Kinder, die Fliegen Flügel ausreißen“ (Soyinka).

Jacques Derrida spricht den Skandal in seinem Manifest für Strasbourg aus: „Ihren Ort zu wählen, sich frei zu bewegen: das ist ein Recht, das unsere Welt den Schriftstellern mehr und mehr verweigert.“ Das Internationale Schriftstellerparlament ist vor einem Jahr gegründet worden, als Salman Rushdie unerwartet doch noch nach Strasbourg reisen konnte. Rushdie, der Zeuge der von Derrida beschriebenen neuen Formen der Verfolgung, wurde zum Präsidenten der Organisation gewählt. Ob der Präsident an der diesjährigen Sitzung wird teilnehmen können, ist ungewiß.

Neunhundertunddrei. Gut zu wissen, daß noch jemand mitzählt. Jörg Lau

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