■ Bald Gouverneurs- und Kongreßwahlen in den USA: Im Anti-Politik-Rausch
Frage: Was ist blond, groß, stämmig und reist lieber durch Kuwait als durch Kansas? Antwort: Bill Clinton. Frage: Warum? Antwort: Weil in den USA Wahlkampf herrscht und Clintons Parteigenossen die Anwesenheit ihres Präsidenten eher als Last denn als Gewinn empfinden. Der Mann, den sie vor zwei Jahren noch als Retter der Partei, als Erfinder des „neuen Demokraten“ und Garanten einer neuen politischen Kultur feierten, wird heute behandelt wie ein Handlungsreisender. Statt dessen inszenieren die Republikaner ihre Renaissance, als hätte die Wahlniederlage vor zwei Jahren keine Spuren hinterlassen.
Mit einer konsequenten Obstruktionspolitik im Kongreß haben die Republikaner den Aufbruch der „Neuen Demokraten“ schon im Ansatz gestoppt. Da hilft dem Präsidenten auch nicht der Nachweis, daß er in seiner ersten Amtshalbzeit weit mehr Gesetze auf den Weg gebracht hat als seine Vorgänger. Die großen innenpolitischen Reformprojekte – Gesundheitswesen, Wahlkampffinanzierung, Wiederaufbau der Infrastruktur – sind vorerst am republikanischen Widerstand gescheitert.
Zynismus und Verbitterung gegenüber staatlichen Institutionen zu schaffen war erklärtes strategisches Ziel der Republikaner – und sie haben es erreicht. Ob in Kalifornien oder New York – die Wut auf Clinton im besonderen und Politiker im allgemeinen nimmt zunehmend kathartische Züge an. Diese Stimmung gegen das politische Establishment war auch bei den Präsidentschaftswahlen 1992 dominant. Damals profitierten davon Ross Perot, die Frauen – und zuletzt Bill Clinton; 1994 aller Voraussicht nach der christlich-konservative Flügel der Republikaner und, gewissermaßen posthum, ihr Idol Reagan.
Dieser Umstand belehrt all diejenigen (die Autorin eingeschlossen) eines Besseren, die in Clintons Wahlsieg einen politischen und gesellschaftlichen Bruch mit der Reaganschen Ideologie sahen. Kaum zwei Jahre später gehen die Republikaner wieder damit hausieren: mehr Rüstungsausgaben, Steuersenkungen für die oberen Einkommensschichten bei gleichzeitig wundersamer Senkung des Defizits – dieses „Programm“ haben sie 1994 mit einem neuen Etikett, „Vertrag für Amerika“, versehen und ungeniert als Vision fürs 21. Jahrhundert präsentiert. Vor zwei Jahren hätte man sich damit zum Idioten gemacht.
Einen zweiten Irrtum gilt es festzustellen: Die christliche Rechte, deren polarisierender Einfluß im Wahlkampf einiges zur Wahlniederlage von George Bush beigetragen hat, hat sich von ihrer Bauchlandung 1992 weitaus schneller erholt als erwartet. Und sie hat aus vergangenen Fehlern gelernt. Man vermeidet das Reizwort Abtreibung ebenso wie die Kreuzzugrhetorik, die noch vor zwei Jahren ganze Wählergruppen verschreckte. Der Schutz der Familie und Sexabstinenz bei Teenagern sind hingegen Themen, in denen die religiös-konservative Position auch beim „Mainstream“ Anklang findet. Darüber hinaus verlegt man sich auf eine erzkonservative, aber eher säkulare Programmatik: private Caritas statt Sozialprogrammen; mehr Todesurteile und Gefängniszellen statt Rehabilitation und Prävention; mehr Restriktionen gegen Immigranten. Dazu ein lautes Nein zu Steuern, staatlichen Antidiskriminierungsmaßnahmen, staatlicher Waffenkontrolle, staatlicher Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen, staatlichen Eingriffen in das Gesundheitswesen ...
„Sozialdarwinismus“ und „Nativismus“ diagnostizierte unlängst Sidney Blumenthal, politischer Korrespondent des New Yorker. In dieses Bild paßt, daß laut Umfrage erstmals eine Mehrheit der weißen US-Amerikaner der Meinung ist, der Staat habe es mit seinen Gleichstellungsmaßnahmen für Frauen und Angehörige von Minderheiten „zu weit“ getrieben. In dieses Bild paßt auch, daß rechtzeitig zum Wahlkampf Charles Murray, Rechtsaußen der konservativen Intelligenzija, in einem neuen Buch Schichtzugehörigkeit und Intelligenzquotienten korreliert – und dann schlußfolgert, Schwarze hätten, genetisch bedingt, einen niedrigeren Durchschnitts-IQ als Weiße. Ergo seien staatliche Maßnahmen gegen Armut und für Chancengleichheit reine Geldverschwendung.
Was Murrays Buch so bedrohlich macht, ist nicht nur sein Inhalt, sondern der politische Kontext: Crime und welfare – Kriminalität und Sozialhilfe – sind neben Immigration die bestimmenden Themen in diesem Wahlkampf. Diese Schlagwörter beschreiben jedoch nicht in erster Linie die beiden gesellschaftlichen Probleme Gewalt und Armut, sondern reduzieren sie auf zwei Problemgruppen: Mit dem Schlagwort crime wird unmittelbar der schwarze männliche Jugendliche in der Gang assoziiert; beim Stichwort welfare taucht ebenso unvermittelt das Bild der schwarzen minderjährigen Mutter unehelicher Kinder auf.
Gewaltkriminalität und die wachsende Anzahl alleinstehender minderjähriger Mütter sind zweifellos Probleme, die in den schwarzen Ghettos am stärksten verbreitet sind. Doch die Fixierung der öffentlichen Debatte auf die schwarzen inner cities ist nicht etwa ein Akt der Empathie, sondern der Ausgrenzung – und der Ablenkung. Denn längst haben Jugendkriminalität und der Zerfall von traditionellen Familienstrukturen den Traum von der heilen Welt in den weißen Suburbs ins Wanken gebracht.
Diese Klientel, die in den achtziger Jahren ins Reagansche Lager übergewechselt war, hatte Bill Clinton 1992 für sich gewinnen können, indem er der durch Reaganomics und Rezession gebeutelten weißen Middle-class einen Ausweg aus der wirtschaftlichen Talsohle versprach. Diese Klientel ist nun bitter enttäuscht, weil trotz Wirtschaftsaufschwung ihr Durchschnittseinkommen weiter gesunken ist. Manche Ökonomen und Soziologen sprechen schon vom „Aussterben der Mittelschicht“.
Am 8. 11. werden die „Demokraten“ vermutlich registrieren müssen, daß ihnen nicht nur jede politische Vision, sondern auch ein großer Teil der weißen suburbanites wieder abhanden gekommen ist. Die wählen dieses Mal republikanisch – oder gar nicht. Weitaus mehr Kopfzerbrechen dürfte den Parteistrategen bereiten, daß sich laut Umfragen eine wachsende Anzahl ihrer Wählerklientel als independent, als parteiunabhängig, definiert. Das Potential für eine dritte Partei oder einen dritten Kandidaten, das sich 1992 hinter Ross Perot versammelt hatte, schrumpft nicht. Es wächst.
Die Republikaner werden bei diesen Wahlen vermutlich kleinere Zuwächse verzeichnen, als sie sich im Überschwang ihres Anti-Clinton-Rausches ausmalen. Doch ihre Gewinne dürften ausreichen, um dem Präsidenten die nächsten beiden Jahre noch mehr zu versalzen. Das wird der Partei nicht jene politische und ideologische Zerreißprobe zwischen dem moderaten und dem christlich-konservativen Flügel ersparen, die eigentlich seit der Wahlniederlage 1992 ansteht. Vielleicht kann sich Bill Clinton dann doch noch berechtigte Hoffnungen auf eine zweite Amtszeit machen ... Andrea Böhm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen