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Arm, aber vergnügt in den Wahlkampf

Ein populärer Grünen-Kandidat könnte in New Mexico das Zwei-Parteien-System knacken  ■ Aus Santa Fe Andrea Böhm

Man muß nur dem Gouverneur auf die Füße schauen, um festzustellen, daß man im Westen ist. Der Scheitel ist schnurgerade, der Anzug dezent grau – die Cowboystiefel aus bestem Leder auffällig braun. Offensichtlich verleitet das Schuhwerk zu ruppigen Umgangsformen. Als ein paar Anhänger der „Grünen“ den demokratischen Amtsinhaber mit Plakaten und Transparenten auf dem Parkplatz des lokalen Fernsehsenders „Channel 7“ zur Fernsehdebatte begrüßen, verliert der 70jährige die Beherrschung und liefert sich eine kleine Rangelei mit den politischen Kontrahenten. Denn an der „New Mexico Green Party“ könnte es liegen, daß King am kommenden Dienstag auch sein Amt verliert.

Daß eine grüne Partei in den USA je zum Königsmacher werden könnte, verblüfft alle – nur nicht die Grünen in New Mexico. Acht Prozent prognostizieren die letzten Meinungsumfragen für den Außenseiter. Steve Schmidt, Autor des Parteiprogramms und Kandidat für das Amt des stellvertretenden Gouverneurs hält das für eine schamlose Untertreibung, womit er richtig liegen könnte. In unveröffentlichten Umfragen der Demokratischen Partei liegen die Grünen bei sechzehn Prozent – und in der buntbemalten Wahlkampfzentrale in Albuquerque fällt auch schon mal der Satz: „Wir können zwanzig Prozent schaffen.“ Mit verträumten Augen malt man sich deutsche Verhältnisse aus. „49 Seats in the Bundestag. Wow!“ Nach dem US- amerikanischen Mehrheitswahlrecht ist es egal, ob sie nun acht, zehn oder zwanzig Prozent gewinnen – aber es wäre ein kleines politisches Erdbeben, das über die Grenzen des Bundesstaates hinaus registriert würde.

„Grüne“ Themen gibt es in New Mexico zur Genüge. In Sichtweite der pittoresken Hauptstadt Santa Fe befinden sich die Atomforschungslabore von Los Alamos; in Carlsbad soll eine Atommüllanlage errichtet werden; und seit Generationen kämpfen Rancher und Farmer gegen Naturschützer um Wasser- und Landnutzung. Doch es ist weniger das Thema Umweltschutz, das den Grünen zum Aufschwung verholfen hat, als die Verbitterung gegenüber den beiden etablierten Parteien. Die ist nun keineswegs auf New Mexico beschränkt, doch hier ist einer dritten Partei das gelungen, wovor sich Demokraten wie Republikaner am meisten fürchten: Die „New Mexico Green Party“ hat einen regionalen „Allround-Star“, Roberto Mondragon, als Spitzenkandidaten gewonnen.

Schlips und Anzug sind seine Sache nicht; Mondragon bevorzugt Jeans, offenes Hemd, Navajo- Schmuck – und natürlich Cowboystiefel. Seine spanischsprachige Radioshow ist ebenso bekannt wie sein musikalisches Talent als Gitarrenspieler und seine Vorliebe für Anekdoten. Wenn er mit seinem weißen Bart und den schulterlangen Silberlocken vor den Adobe-Häusern von Santa Fe Wahlkampf macht, dann wirkt er wie hingemalt – sehr zum Verdruß seiner politischen Gegner, denen die Medienwirksamkeit des 54jährigen zu schaffen macht. Seine Kandidatur für die Grünen schmerzt vor allem die Demokraten, denn Mondragon war bis vor kurzem noch in ihrem Lager – wenn auch meist murrend am linken Rand. Vom Wahlkampf Robert Kennedys, über George McGovern und die „Rainbow Coalition“ Jesse Jacksons hat Mondragon in seinem politischen Leben jeden unterstützt, den er für befähigt hielt, die Demokratische Partei auf einen progressiven Reformkurs zu bringen. In New Mexico hat er in den sechziger Jahren als jüngstes Mitglied des Parlaments und später als jüngster Vize-Gouverneur Furore gemacht. Bis zum Sommer hatte Mondragon noch keinerlei politische Ambitionen zu erkennen gegeben. Doch als in den Vorwahlen der Partei Amtsinhaber King, ein konservativer Rancher und Millionär, erneut zum Kandidaten gewählt wurde, „da“, sagt Mondragon, „hat's mir dann gereicht“. Als die Grünen zaghaft bei ihm anfragten, sagte er sofort zu und machte die Partei auf einen Schlag bei drei Zielgruppen salonfähig: bei den Hispanics; bei weißen Liberalen der oberen Einkommensschichten, die vor allem aus Kalifornien eingewandert sind; und bei der wachsenden Gruppe der frustrierten „Independents“, von denen viele vor zwei Jahren noch für Ross Perot gestimmt haben.

Die Demokraten erkannten die Gefahr sofort und versuchten, den Grünen per Klage die Teilnahme an den Wahlen zu verbieten. Mondragon und andere Kandidaten hätten sich zu spät aus dem Register der Demokratischen Partei aus- und als Grüne eintragen lassen. Der Oberste Gerichtshof von New Mexico sah das anders und gab der dritten Partei grünes Licht.

Seitdem steckt Mondragon im Streß eines unterfinanzierten Wahlkampfs. Seine Kontrahenten haben mehrere Millionen Dollar zur Verfügung. King, um sein Image als jovialer Landesvater aufzubessern; der Republikaner und Baumillionär Gary Johnson, um sich als Außenseiter zu profilieren, der in der schmutzigen Welt der Politik aufräumen möchte.

Die Grünen hingegen haben nach eigenen Angaben bislang gerade 70.000 Dollar an Spendengeldern zusammenbekommen. Arm, aber vergnügt – so könnte man denn auch die Stimmung in den Wahlkampfbüros beschreiben, in denen die meist jungen Mitarbeiter zwischen Kaffeebechern und Hot-Dog-Resten Parteiprogramme verschicken und Telefonkampagnen starten.

Das Parteiprogramm könnte man als US-Version der „Realo- Programmatik“ beschreiben. Sie fordern härtere Gefängnisstrafen gegen Gewaltverbrecher und mehr Präventions- und Resozialisierungsprogramme vor allem für Jugendliche. Sie befürworten das Recht auf Waffenbesitz und das Verbot von schwerem Schießgerät. Auf den Umweltschutz wird ebensoviel Platz verwandt wie auf die Wirtschaftspolitik. Im Billiglohnstaat New Mexico dürfte die grüne Forderung nach Krankenversicherung für alle und einem „living wage“ (einem Mindesteinkommen) auf mehr Resonanz stoßen als die nach dem Ausbau des Bahnsystems.

Drei Tage bleiben Mondragon noch, um Stimmen zu sammeln. Das Argument, er könnte einem Republikaner zur Macht verhelfen, läßt ihn inzwischen kalt. „Das Zwei-Parteien-System“, sagt er im Brustton der Überzeugung, „ist in diesem Land am Ende.“ Gegen Ende der TV-Debatte dreht er sich noch einmal zu King und fragt, was der Gouverneur gegen den demokratischen Wählerschwund zu tun gedenke. Der reagiert mit einem Redeschwall von fast vier Minuten. Mondragon läßt ihn über sich ergehen wie einen kurzen Regen. Dann dreht er sich wieder zur Kamera und lächelt, als habe er eine erfolgreiche Dressur vorgeführt. „Leute“, sagt er zum Schluß auf englisch und spanisch, „wählt mit eurem Herzen. Wählt grün.“

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