„Der hat seinen Laden im Griff“

SPD-Chef Rudolf Scharping erhält sechs Stellvertreter / Schily und Verheugen neue Fraktionsvize / Scharping: Die SPD soll wieder das Machtzentrum der Oppositionsarbeit werden  ■ Von Hans Monath

Bonn (taz/dpa) – Die SPD-Bundestagsfraktion wird künftig neben Fraktionschef Rudolf Scharping sechs stellvertretende Vorsitzende erhalten. Darauf verständigte sich gestern die amtierende Fraktionsführung nach fast vierstündigen Beratungen. Neu in die Fraktionsführung gewählt werden sollen nach dem Vorschlag Scharpings SPD-Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen und der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Otto Schily. Außerdem sollen die bisherigen stellvertretenden Fraktionschefs Ingrid Matthäus-Maier, Anke Fuchs, Rudolf Dreßler und Wolfgang Thierse in ihren Ämtern bestätigt werden. Die Wahlen finden nächste Woche in Berlin statt.

Wie Scharping nach der Sitzung erklärte, wird es künftig Arbeitsgruppen in der Fraktion geben, die sich an den Ausschüssen des Bundestages orientieren. Nach den Worten des Parteichefs war die Zahl der weit über 40 Arbeitsgruppen, die sein Vorgänger Hans-Ulrich Klose eingerichtet hatte, zu groß für eine effektive Fraktionsarbeit. Nach Scharpings Angaben wird Verheugen künftig federführend für die Außenpolitik sein, daneben aber Bundesgeschäftsführer bleiben. Schily solle sich ebenso wie Anke Fuchs um den Bereich der Innen- und Rechtspolitik kümmern. Matthäus-Maier (Haushalt und Finanzen), Dreßler (Arbeit und Soziales) sowie Thierse (deutsche Einheit) behielten ihre Arbeitsgebiete. Die stellvertretende Parteivorsitzende Herta Däubler- Gmelin, die von der Parteilinken für ein Amt in der Fraktionsspitze vorgeschlagen worden war, wird laut Scharping auch in der neuen Fraktion an wichtiger Stelle tätig sein.

Der Klimawechsel bei der SPD ist auffallend: Fühlte so mancher sich früher wie auf einem Bahnhof, als Hans-Ulrich Klose noch die Sitzungen leitete, so ist mit dem neuen Chef Rudolf Scharping Arbeitsatmosphäre eingezogen. Die Diskussion über das Verhältnis zur PDS hat die Aufmerksamkeit davon abgelenkt, daß Scharping sich eine strategisch starke Stellung als Oppositionsführer aufbaut. Die beiden Troika-Mitglieder und potentiellen innerparteilichen Rivalen Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder hat er auf Plätze verwiesen, von denen aus sie ihm nicht gefährlich werden können.

Die SPD-Fraktion, so kündigte ihr neuer Chef mittlerweile an, soll wieder zum Machtzentrum der Oppositionsarbeit und zum Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung werden. Das gefällt den Abgeordneten, die im Wahlkampf zusehen mußten, wie der Bundesrat zur eigentlichen Kampfbühne mit der Regierung wurde. Dem Führungsanspruch, den Scharping offen demonstriert, beugen sich die sonst streitbaren Genossen offenbar gern.

„Sie gierten geradezu danach“ beschreibt ein Teilnehmer die Reaktion auf die ersten Signale des nahezu einstimmig gewählten Chefs. „Korsettstangen“ werde der der SPD einziehen. Und damit werde Scharping beweisen, daß er tatsächlich führen könne.

So soll die Verzahnung mit dem Bundesrat künftig besser funktionieren. Scharping nimmt auch seinen Mainzer Kanzleichef mit nach Bonn. Karl-Heinz Klär wird Bevollmächtigter von Rheinland- Pfalz und soll die Bundesratsarbeit der SPD-geführten Länder abstimmen. Allerdings soll Scharping den Ministerpräsidenten aus Saarbrücken und Hannover schon signalisiert haben, daß sein persönlicher Anspruch auf „Koordination der SPD-Arbeit im Bundestag und Bundesrat“ nicht auf Kosten der Interessen dieser Länder gehe.

Eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat haben auch die Landtagswahlen vom 16. Oktober der SPD nicht beschert. Allerdings stellen ihre Vertreter nun die Mehrheit im Vermittlungsausschuß, der einberufen wird, wenn Bundestag und Bundesrat sich nicht einigen können. Mit Hilfe der beiden Gremien will Scharping die Regierung dazu zwingen, sich als Verhinderer von Reformen zu erkennen zu geben. Über den Bundesrat sollen Gesetzesentwürfe zu Reformvorhaben eingebracht werden, welche die Koalitionsmehrheit im Bundestag dann ablehnt. Wenn die SPD-Mehrheit sich im Vermittlungsausschuß stur stellt, werden die Entwürfe wieder ins Parlament zurückgeschickt.

Dem Gegner bleibt die Aufbauarbeit des Herausforderers nicht verborgen. Auch Helmut Kohl, so heißt es im Bonner Kanzleramt, beobachte, wie der SPD-Chef in der Oppositionspartei eine „Alleinherrschaft“ aufbaue. Angesichts des Zwangs zum Kompromiß mit der SPD sei der Regierungschef sogar froh über einen Verhandlungspartner, „der seinen Laden im Griff hat“.