Vor dem dritten Kriegswinter

■ „Die humanitäre Hilfe würde auch ohne UNO-Truppen fortgesetzt“, sagt Peter Kessler vom UNHCR in Sarajevo

Der 32jährige Amerikaner Peter Kessler ist Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR im ehemaligen Jugoslawien.

taz: Wie sind Sie auf den dritten Kriegswinter in Bosnien-Herzegowina vorbereitet?

Peter Kessler: Wir sehen uns immer wieder fast unüberwindlichen Schwierigkeiten gegenüber. Sowohl die Versorgungskonvois als auch die Luftbrücke nach Sarajevo werden immer wieder durch die Serben unterbrochen. Im Oktober mußten wir die bescheidene Menge, die wir als Reserve in Sarajevo angelegt hatten, verbrauchen, weil die Luftbrücke unterbrochen war. Im Augenblick versuchen wir wiederum fieberhaft, eine Reserve anzulegen.

Was die Enklaven Goražde, Žepa und Srebrenica betrifft, so wurden die meisten Konvois durchgelassen. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist besser, als wir erwartet haben, weil in den Enklaven selbst auch Gemüse angebaut wird. Versorgungsgüter durchzubekommen, die nicht Nahrung sind, ist schwieriger. Neulich wurde ein Lastwagen mit Herrenunterwäsche konfisziert.

Der UNHCR liefert auch Hilfsgüter an die serbische Seite.

Auch dort gibt es viele Bedürftige. Wir liefern etwa 8.000 Tonnen Lebensmittel an Sarajevo und die Enklaven, wo etwa 550.000 Menschen leben, und etwas weniger an die serbische Seite, vor allem nach Banja Luka. Wir haben auch ein Programm für die Versorgung mit Benzin, vor allem für die Hospitäler beider Seiten. Dieses Programm ist allerdings ins Stocken geraten, seitdem die serbisch-bosnische Grenze geschlossen ist.

Seit der Plan der Kontaktgruppe gescheitert ist, geht der Krieg vor allem in der Bihać-Region weiter. Wie ist die Lage dort?

Wir haben gerade mal 630 Tonnen dahin bringen können, das ist sehr wenig – etwa ein Kilo pro Person im Monat. Darum verhandeln wir mit den Krajina-Serben, um mehr Hilfe von Zagreb aus durchzubekommen. Wir können uns aber auch vorstellen, die Abwürfe aus Flugzeugen wiederaufzunehmen. Mit den Kämpfen werden aber auch neue Flüchtlinge produziert, diesmal auf serbischer Seite, rund 180.000 sind auf der Flucht. Wir versuchen jetzt, diesen Menschen zu helfen.

Nicht immer hat die Zusammenarbeit der beiden UNO-Organisationen UNHCR und Unprofor – also des UN-Flüchtlingshilfswerks und der Blauhelme – geklappt. Die Blauhelme sollen ja eigentlich die Konvois schützen.

Ursprünglich ja. Aber dieser Auftrag wurde von der UNO immer wieder erweitert. Lassen Sie es mich so sagen: Es ist nicht immer einfach, als Zivilist mit Militärs zusammenzuarbeiten.

Nun haben die britische und die französische Regierung gedroht, ihre Blauhelme aus Bosnien zurückzuziehen, falls das Waffenembargo gegenüber Bosnien-Herzegowina aufgehoben würde. Hieße dies auch, daß der UNHCR sich zurückzieht?

Die Lage wäre für uns und auch für die Journalisten noch gefährlicher. Auch die Luftbrücke über den Flughafen in Sarajevo würde wahrscheinlich zusammenbrechen. Klar ist, daß UNHCR schon vor den UNO-Truppen in Bosnien tätig war und bei einem eventuellen Rückzug von Teilen der UNO- Truppen bleiben wird. Wir werden unsere Arbeit fortsetzen.

Interview: Erich Rathfelder/

Paul Hockenos, Sarajevo