,Ich hab' keine Hose mehr!'

■ Zum Beispiel Familie D.: Wie Vater und Tochter sich wegen der Klamotten streiten

Ziemlich ermattet wirkt Vater Ulrich (46), als er an diesem Samstagnachmittag aus der Straßenbahn steigt, um mit Tochter Ulrike („fast 15“) in der City eine Winterjacke zu kaufen. Hinter ihm liege ein „Trommelfeuer, Tag für Tag“, sagt er. Ulrike dagegen ist vergnügt. Sie wird die Jacke bekommen – gerade noch rechtzeitig vor der Party heute abend. Forsch schreitet sie aus, angetan mit der obligatorischen Adidas-drei-Streifen-Hose, einem Kapuzenpullover und Old-School-Schuhen von Puma. Auf dem Rücken baumelt ein graugrüner Bundeswehrrucksack, auf dem Kopf eine Zipfelmütze, „Kondomhead oder -hat“, das weiß sie selbst nicht so genau.

Allerdings hat die Tochter einen Kompromiß schließen müssen: Der Vater will nur 150 Mark investieren, die favorisierte Jacke mit dem Schriftzug der Basketballmannschaft „Phoenix Suns“ aber kostet 279,90 Mark, Ulrike muß also die Differenz vom eigenen Konto (großelterliche Zuschüsse) zahlen. Immerhin, das ist Ulrichs Stich, ist sie von der zunächst geforderten gelben Teddyjacke mit Silberstreifen wieder abgekommen.

„Aber ist die nicht zu eng“, wagt der Vater zu sagen, als Ulrike bei „Karstadt Sport & Spiel“ eine „Suns“-Jacke anzieht. „Wie meinst du das“, gibt die figurbewußte Tochter mißtrauisch zurück. „Na ja, die sind doch für Jungs gemacht und nicht für Mädchen mit Busen“. Na gut, geht man eben noch zu „FootLocker. „Nee, wenn Sie die größer nehmen, sind die Ärmel zu lang“, mischt sich dort der Verkäufer ein. Da die Jacke vergleichsweise dezent aussieht – schwarz mit grellorangem Bund und grellorangem Label – zückt Vater Ulrich schließlich die Scheckkarte. Glücklich ist er nicht mit dem Kauf – ob diese trendige Jacke überhaupt ein Jahr lang getragen wird? Ob das nicht wieder so ein Drama gibt wie mit jenen Turnschuhen, die vom einen auf den anderen Tag angeblich „zu klein“ waren. Damals hatte wohl irgendein Kumpel „Bähh, die Naht stimmt nicht – falsche Marke“ gesagt. Ein Jahr später allerdings kramte Ulrike die Schuhe wieder raus, da waren sie plötzlich „In“. Obwohl mittlerweile objektiv zu klein.

Diese Marken, seufzt der Vater. „Aber Normalo-Klamotten wären auch nicht billiger“, argumentiert Ulrike. „Ich verlange doch keine Levis für 160 Mark oder Buffaloboots für 200, und die Jacken von Esprit sind auch nicht billiger.“ Und damals, als sie sich noch billig bei „H&M“ eindeckte, da habe sie zwar viele Sachen gehabt, aber von schlechter Qualität – außerdem hatten die alle an, also brauchte man öfter was Neues. Jetzt hingegen wolle sie doch nur ein paar wenige gute Stücke. Immerhin verlange sie nicht nach den ganz teuren Marken, „Stüssy“ zum Beispiel, wo die Hose 349 Mark koste, beruhigt sie den Vater.

Stimmt schon, sagt Cornelia (34), Ulrichs Lebensgefährtin, mit 13 war die Klamottenfrage noch stressiger, da wechselten die Wäschewünsche fast täglich. Was bangten die Eltern, als die Tochter die Raver-Mode in Erwägung zog, die so ganz anders, nämlich enger, bunter, fröhlicher ist als die jetzt von Ulrike bevorzugte HipHop-Mode. Die „Ökos“ mit ihren „antifaschistischen Tüchern“ findet Ulrike ohnehin „voll scheiße“, und von den „Grungern“, die sich für 60 Mark einen Pulli kaufen, der aussehen soll, als hätten sie ihn aus der Mülltonne, hält sie erst recht nichts. Am ehesten noch von den „Autonomen Bürgern“ und den Punks: „Da hat das wenigstens noch was zu sagen.“

Der Familienstreit entbrennt aber nicht erst bei Markenwahl und Preis, sondern schon beim „Ob überhaupt“. „Ulrich, ich hab keine Hose mehr“, bei diesem Ruf zuckt der Vater zusammen. Zwar versucht er jedesmal, der Tochter den Kleiderbestand vorzurechnen. Aber keine Chance: Die Freundinnen tauschen ihre Klamotten, und dann ist statt der neuen warmen Hose plötzlich eine da, die tatsächlich zu dünn ist. Nur manchmal gelingt es, einen Kleiderwunsch abzuwehren. „Die hat so eine blöde Farbe, im Neonlicht im Laden sah die ganz anders aus“, maulte die Tochter. Da hielt ihr Cornelia entgegen: „Wenn du so argumentierst, wirst du nie alleine einkaufen können.“ Zwei Wochen war Ruhe.

Doch dann kniete die Tochter erneut vor dem Vater, flehte um diesen „Space“-Pullover – dafür mache sie auch brav die Schularbeiten, immer von jetzt an. Drei Tage hielt die Belagerung an. Endlich gaben die Eltern nach: „Jetzt hat sie sozusagen auch ihren Teil der Arbeit dran getan.“ Mittlerweile hat der Vater jedes Vertrauen verloren, daß sie auch mal was Sinnvolles fordern könnte. Und die Tochter powert jedesmal und sofort mit ganzer Kraft los. Da der tatsächliche Bedarf schwer festzustellen ist, behilft sich der Vater mit „Ernsthaftigkeitsprüfungen“: Die Tochter soll zum Beispiel zuzahlen – da verschwindet mancher Wunsch vom Tisch. Oder es soll über den Pulli überhaupt erst dann diskutiert werden, wenn sie ihren Schrank aufgeräumt hat.

Dabei hält sich der Teenager durchaus für unabhängig von den Einflüsterungen der Modebranche und der Jugendmagazine. Wenn „Girl“ rät, doch mal einen Spitzenbody unter der Drei-Streifen-Jacke zutragen, findet sie das nur blöd. Aber die „Out-Listen“ halte sie doch peinlich genau ein, verrät Cornelia. Mindestens im Mainstrem möchte Ulrike sich halten, und manchmal auch die erste sei: Die für 50 Mark erstandenen silbernen Schuhe mit klobigem Absatz zum Beispiel findet sie eigentlich selbst häßlich, aber damit fällt man auf; außer extremen Technos traue eben nur sie sich, sowas anzuziehen. Und nur wenige Mädchen wagten sich mit den weiten „homeboy“-Hosen in die Schule. „Darin sieht man zwar ziemlich dick aus, aber irgendwie sind sie cool.“

Vater Ulrich würde am liebsten mit anderen Eltern einen Killerklub gründen gegen die Mode-Mafia. „Man tritt ja nicht gegen die Vorstellung des Kindes an, sondern gegen einen komplexen Makrokosmos von durchkalkulierten Ideologien und Geschäftemachereien.“ Während er noch wütend vor sich hin schwadroniert, steht Ulrike, fix und fertig für die Party, vor ihm: obenrum die „Suns“-Jacke, an den Füßen die Silberschuhe. „Danke Ulrich“, sagt sie mit Augenaufschlag und drückt ihm ein Küßchen auf die Wange. Daß die Schuhe doch irgendwie „spießig“ aussehen, überhört sie. Als sie schon die Haustür zuzieht, rufen ihr die Eltern noch ein „Viel Spaß“ hinterher. Christine Holch