„Hingucken, was Sache ist“

■ Eine Diskussion im Bremer Theater gegen das Vergessen: „Schauspieler als Naziopfer“

Prachtvoll steht er da in seinen Lederhosen: rund und gesund, ein herzhaftes Grinsen im Gesicht, die Wangen leuchtend, die mächtige Hand zum Bergmannsgruß erhoben: Otto Wallburg als „Der Hochtourist“. Ein Filmplakat; ein paar weitere sind auch noch da, viel mehr nicht – wer kennt heute Otto Wallburg? Den vollblütigen Komiker? In den 30er Jahren gehörte Wallburg zu den Publikumslieblingen des deutschen Films. 1944 wurde er denunziert und „wegen eines Rassevergehens“ interniert. Im gleichen Jahr ermordeten die Nazi-Schergen Wallburg in den Gaskammern von Auschwitz.

Wallburg gehörte zu jenen jüdischen Schauspielern, deren Kreativität, Produktivität und Witz das deutsche Bühnen- und Filmschaffen maßgeblich prägten. Das Publikum kannte ihre Namen; und es vergaß sie ganz schnell wieder, als die Popularität der jüdischen Filmstars plötzlich heikel erschien. Es sei schon langwierig gewesen, die Lebensläufe von 50 Bühnenkünstlern zu rekonstruieren, deren Leben im Vernichtungslager endete, sagt der Autor Ulrich Liebe. Sein Buch „Verehrt – verfolgt – vergessen“ bot den Anlaß zur Diskussion: „Schauspieler als Naziopfer – ein Thema von gestern?“ Die Diskussionsrunde im Bremer Theater begnügte sich glücklicherweise nicht mit der einfachen Antwort. Zwar ist das Buch eben erst erschienen, aber einhellig kam schon die Forderung nach einem weiteren: nicht über die Opfer, sondern über die Mittäter vor und hinter den Kulissen.

Denn manchem arischen Schauspieler mag das Verschwinden der begabteren jüdischen Kollegen ja durchaus in die Karriere gepaßt haben – so die Vermtung (nicht nur) von Klaus Pierwoß, Intendant des Bremer Theaters. Er habe den Eindruck, „daß mancher Theaterkollege seine Eingriffsmöglichkeiten unterschätzt hat“ – bzw. dann auch lieber unterlassen hat. Für ihn sei es „eine Frage der Täterschaft, inwiefern man sich nicht eingemischt hat oder es hat einfach geschehen lassen“. Da spiegelte die kleine, eng verbundene Theaterwelt nur ein Abbild des übrigen Grauens. Und das gelte es endlich aufzuarbeiten.

Denn selbstverständlich „war doch alle öffentlich bekannt“, wie die Historikerin Inge Marßolek bekräfigte. Die Bremer Nachrichten brachten Witze über Juden, die sich schon mal fürs Vernichtungslager bereitmachen sollten; die Bremer Juden wurden im Morgengrauen durch die Straßen zum Bahnhof getrieben, von da in den Tod; „jedermann wußte doch, daß der jüdische Abwalt nicht mehr praktizierte, daß der jüdische Schauspieler nicht mehr auftrat.“

Mehr noch: Die arischen Bremer sahen nicht nur weg, sondern auch sehr genau hin, wie Marßolek in Erinnerung rief. „90 Prozent der Fälle, in denen die Gestapo ermittelt hat, sind über Denunziation gelaufen.“ Schweigen oder anzeigen – gleichviel: beide Tatbestände halfen den Faschisten bei der Perfektionierung ihrer Mordmaschine, und beides gilt es immer noch zu untersuchen. „Es ist ein Defizit der Geschichtswissenschaft, daß das Verhalten der Mehrheit der Deutschen sehr unter dem Deckel gehalten wurde“, so Marßolek.

Statt einer wirklichen Aufarbeitung der Tatsachen nämlich hätten sich die Nachkriegsdeutschen „in diese Larmoyanz“ geflüchtet; ein Phänomen, das alle eventuell weiterführenden Gedanken über die Mittäterschaft der vermeintlich unbescholtenen Bürger „hinweggefegt“ habe. Eine Larmoyanz, die, so Marßoleks Vermutung, spätestens am nächstbesten 8. Mai „wieder sehr breit gefeiert“ werde.

Vielleicht nicht ganz zufällig kam hier auch das Gespräch auf die Volkstrauer um einen unlängst verstorbenen Schauspieler, der aus vielerlei Gründen überlebt hat, und zwar gar nicht schlecht: Heinz Rühmann. Die Flut erboster Leserbriefe auf den Nachruf im „Weser Kurier“, in dem unmißverständlich auf den Opportunismus Rühmanns während des Faschismus verwiesen wurde, „zeigt erschreckend, was noch für ein Potential drin ist“, so ein Theatergast. „Man wird ja noch mal schreiben dürfen, daß er seine jüdische Frau verlassen hat!“

Rühmann selbst hatte an einer Aufklärung seiner Geschichte, und der tödlichen Mechanismen der Mittäterschaft auch in Theaterkreisen, jedenfalls kein Interesse, wie Autor Liebe erklärte. Auf dessen Anfrage schrieb Rühmann dem „lieben Herrn Liebe“, dieser solle sein Anliegen nochmal überdenken, „es ist doch ein bißchen viel verlangt.“

Wer also soll das noch fällige Buch schreiben? Liebe ist des Schreibens müde. Und die jüdischen Intellektuellen selbst? „Der Antimsemitismus ist das Problem der demokratischen nichtjüdischen Bevölkerung“, erklärte Karla Müller-Tupath von der jüdischen Gemeinde Bremen; „den Antisemitismus kann man jüdischerseits nicht erklären.“ Gemeinsam müsse man wohl aber den Blick schärfen für neues Unrecht. Auch, wenn die Runde sich einig war, daß sich der Holocaust nicht mit Verfolgungsakten anderer (z.B. heutiger) Zeiten vergleichen lasse. „Hingucken, was Sache ist“, sagt Müller-Tupath; „jedenfalls nicht wieder beiseite gucken.“ tom