Rinderwahn: Leben und leben lassen

■ Der britische Mikrobiologe Harash Narang meint, als erster das BSE-Virus identifiziert zu haben

Seit 1992 ist Harash Narang vom Dienst im staatlichen Gesundheitsamt Newcastle/Nordengland suspendiert. Die britische Regierung hat kein Interesse an der Entwicklung eines BSE-Tests, weil sie den betroffenen Bauern dann hohen Schadensersatz zahlen müßte.

taz: Am Rinderwahnsinn, der wissenschaftlich „Bovine Spongiforme Enzephalopathie“ (BSE) heißt, sind in Großbritannien bisher mehr als 130.000 Rinder eingegangen. Dennoch behauptet die britische Regierung, die Seuche sei unter Kontrolle, seit die Rinder nicht mehr mit infiziertem Tierkörpermehl gefüttert werden. Die Zahl an neuen BSE-Fällen sei auf 400 pro Woche gesunken.

Harash Narang: Es ist schwer zu sagen, ob die Zahl der Fälle tatsächlich gesunken ist. Es sind bisher 12.000 Rinder an BSE gestorben, die nach dem Fütterungsverbot geboren sind. Doch in vielen anderen Fällen sind zwar die klinischen Symptome aufgetreten, bei der Hirnuntersuchung zeigten sich aber nicht die pathologischen Merkmale, also die charakteristischen Löcher im Hirn. Deshalb werden die Fälle als negativ gewertet und zählen in der Statistik nicht mit. In Schottland sind das bereits 82 Prozent aller toten Rinder. Woran sind diese Tiere gestorben?

Ich glaube, daß die Kälber nicht auf dem normalen Weg über das Tierkörpermehl infiziert worden sind, sondern auf horizontalem oder vertikalem Weg – also durch die Mutter vor der Geburt oder durch andere Tiere auf der Weide. Deshalb sind die pathologischen Merkmale wahrscheinlich anders, aber es ist dennoch dieselbe Krankheit.

Es heißt, der BSE-Erreger sei unbekannt. Sie sagen jedoch, Sie haben ihn identifiziert.

Der Erreger ist von einer komplexen, dreiteiligen Struktur. Im Zentrum befindet sich eine Proteinfaser, die vom infizierten Körper stammt. Viele Wissenschaftler glauben, daß es sich dabei um den Erreger handelt. Ein Protein tritt in der Natur jedoch nicht als Erreger auf, das ginge völlig gegen die Wissenschaft. Ich habe nachgewiesen, daß sich eine einstrangige Nukleinsäure, eine DNS, um diese Faser windet und von einer Proteinhülle geschützt wird. Wenn es eine Nukleinsäure gibt, muß es sich um einen Virus handeln. Der Unterschied zu vielen anderen Viren besteht darin, daß es sich hier um eine dreiteilige Struktur handelt. Normalerweise besteht ein Virus nur aus einer Nukleinsäure und der äußeren Proteinhülle. Die innere Proteinfaser klammert sich an eine wirtsfremde Nukleinsäure, die nicht nur bei BSE, sondern auch bei Scrapie in Schafen sowie bei der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit im Menschen vorkommt. Sie muß also eine Bedeutung haben, zumal sie im Gegensatz zur Proteinfaser nur bei infizeirten Individuen auftritt. Ich glaube, diese Nukleinsäure verändert das wirtseigene Protein in ein anderes Format.

Wenn Sie die DNS kennen, ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Test am lebenden Tier.

Es handelt sich zwar um eine einfache DNS, wenn man es evolutionsgeschichtlich betrachtet, doch man muß ihre vollständige Sequenz kennen. Ein Test am lebenden Tier ist zur Zeit noch nicht möglich. Für den Test könnte man Blut und möglicherweise sogar Urin benutzen, falls der Erreger – und sei es auch nur in geringen Mengen – im Urin ausgeschieden wird.

Was geschieht in der Zelle, wenn der Erreger angreift?

Wenn der Erreger in die Zelle eintritt, muß er sich reproduzieren. Dazu benutzt er das wirtseigene Protein, das eigentlich die Zellwand intakt hält. Indem der Erreger das Protein vom Wirt abzieht, hungert er die Zelle aus. Die Zellwand wird schwächer, und nach einer gewissen Zeit platzt die Zelle. Dann treten die Löcher im Hirn auf, diese spongiformen Veränderunen. Je mehr Zellen platzen, desto schwerer die Krankheit. Es kommt darauf an, welche Zellen zuerst platzen: Sind es die Zellen, die die Optik steuern, verändert sich das Sehvermögen rapide, sind es die Zellen, die für die Körperbewegungen verantwortlich sind, treten zuerst Muskelstörungen (Ataxie) auf. Es kommt darauf an, welcher Teil des Gehirns angegriffen wird. In dieser Reihenfolge treten auch die Symptome auf. Doch der Erreger kann Monate und Jahre im Wirt überleben, ohne ihn zu töten. Es ist wie bei der Symbiose: Leben und leben lassen.

Die britische Regierung behauptet, daß keine weiteren Forschungen nötig seien, weil man innerhalb der EU eine Einigung erzielt habe: Unter anderem dürfen Rinder aus Großbritannien nur dann exportiert werden, wenn sie aus Herden stammen, in denen seit sechs Jahren kein Fall von BSE aufgetreten ist. Reichen die Maßnahmen aus?

Mit dem Exportverbot rottet man die Krankheit nicht aus, wenn sie horizontal oder vertikal übertragen werden kann. Außerdem gibt es Schlupflöcher. Wenn eine Herde fünf Jahre BSE-frei ist, und dann tritt ein einziger Fall auf, so beginnt die Frist von neuem. Der Bauer erleidet dadurch Einbußen. Aber die Tiere bleiben während dieser Zeit ja nicht auf demselben Bauernhof, sondern werden weiterverkauft.

Heißt das, ein Bauer könnte – ohne es den Behörden zu melden – seine infizierte Kuh zum Nachbarhof bringen, wo bereits hundert Fälle BSE aufgetreten sind und der Bauer nichts mehr zu verlieren hat? Und statt dessen nimmt er vom BSE-Hof eine augenscheinlich gesunde Kuh mit, die er dann exportieren darf?

Das wäre unehrlich. Es ist schwer zu sagen, wieviele Menschen unehrlich sind. Ich hoffe jedoch, daß es mehr ehrliche als unehrliche Menschen gibt. Interview: Ralf Sotscheck