■ In der Slowakei schaltet Mečiar die Opposition aus
: Machtergreifung der besonderen Art

War das, was sich letzte Woche im slowakischen Parlament abspielte, nun tatsächlich eine „kleine sozialistische Novemberrevolution“, wie ein Mitglied der Regierung meinte? Schließlich hatte Wahlsieger Mečiar mit seiner linksnationalistischen Mehrheit „nur“ zwei führende Medienleute gefeuert, die anderen jedoch nicht in ihrer Arbeit behindert. Schließlich hatte er nur einige Änderungen im Privatisierungsprozeß vorgenommen, all die in den letzten Jahren entstandenen Privatunternehmen jedoch unangetastet gelassen. Am Ende der 23stündigen Marathonsitzung konnten ihm somit nicht einmal seine Gegner eindeutig einen Bruch der Verfassung nachweisen.

Was sich in der Slowakei wenige Tage vor dem fünften Jahrestag der „samtenen Revolution“ statt dessen abspielt, ist eine Machtergreifung, wie es sie in den anderen Ländern Osteuropas in den vergangenen Jahren bisher nicht gegeben hat. Selbst bei der konstituierenden Sitzung der russischen Staatsduma war Wahlsieger Schirinowski bereit, die grundlegenden Spielregeln der parlamentarischen Demokratie anzuerkennen und die Parlamentsausschüsse paritätisch zu besetzen. Mečiar dagegen verkündete: „Mehrheit ist Mehrheit“, und schob seine Gegner in den Umweltausschuß ab. Daß die Opposition hiergegen keinerlei Eingriffsmöglichkeiten hatte, sollte auch die Nichtregierungsparteien in den anderen ostmitteleuropäischen Ländern aufmerksam machen. Denn schließlich hat es auch in Polen und Tschechien bereits Maßnahmen gegeben, die zwar nicht gegen die Verfassung, zumindest aber ihren „Geist“ verstießen.

Kann die Machtergreifung Mečiars aufgehalten oder gar rückgängig gemacht werden? Die Frage ist, wie stabil die in den letzten fünf Jahren geschaffenen demokratischen Institutionen, wie unumkehrbar die begonnenen Reformen tatsächlich sind. Und: Wie verhält sich die slowakische Bevölkerung? Hätte es am Wochenende nicht bereits zu den ersten Protestdemonstrationen gegen Mečiar kommen müssen?

Denn wenn Bürger und Institutionen versagen, könnte die „sozialistische Revolution“ doch noch stattfinden, und sie könnte sich auf einem formal demokratischen Weg vollziehen. Der bereits zweimal gestürzte Regierungschef hat deutlich gemacht, daß er eine Regierung nicht allein auf seine linksnationalistischen Abgeordenten stützen will, sondern eine breitere Basis anstrebt. Die „Nacht der langen Messer“ könnte nicht zuletzt das Ziel gehabt haben, die Bildung dieser breiten Basis einzuleiten. An dieser Macht beteiligt zu sein dürfte auch für so manchen Abgeordneten der Christdemokraten oder der demokratischen Linken anziehend sein. Bis zu einer verfassungsändernden Mehrheit aber fehlen Mečiar nur wenige Stimmen. Sabine Herre