Wo sind die DDR-Gorbatschows?

Treue zu den alten Zöpfen: Grünen-Parteitag in Köln verweigert Trennung von Amt und Mandat / Falsche Töne und unausgesprochene Vorwürfe im bündnisgrünen Ost-West-Streit  ■ Aus Köln Hans Monath

Sind die Grünen auf dem Weg zur „ganz normalen“ Partei? Erst nach sechs Stunden demonstrierten die Delegierten von Bündnis 90/Die Grünen auf ihrem Parteitag in Köln ihre früher fast sprichwörtliche Unberechenbarkeit. Mit großer Mehrheit verweigerten sie einen Vorschlag des Bundesvorstands: Die Trennung von Amt und Mandat, ein Erbe grüner Parteikultur, bleibt unangetastet.

Die Parteispitze hatte die Regel aufheben wollen, wonach Abgeordnete von Landtagen, Bundestag und Europaparlament nicht im Parteivorstand sitzen dürfen, um eine engere Verzahnung der Politik von Fraktion und Partei zu ermöglichen. Doch die Treue zum alten Zopf, den abzuschneiden schon manche probiert hatten, erwies sich als unzerstörbar. Die Warnungen der Basisdemokraten vor einem zu mächtigen Bonner Apparat überzeugte die Delegierten offensichtlich.

Selbst viele Delegierten empfanden die Stimmung in Köln als „eher lau“ oder gar „langweilig“. Die Veranstaltung war ursprünglich als begleitender Parteitag für rot-grüne Koalitionsverhandlungen in Bonn konzipiert worden. Absagen ließ sie sich nur deshalb nicht mehr, weil die Satzung noch vor dem nächsten Parteitag, der schon im kommenden Monat in Babelsberg stattfindet, die Klärung der „Amt-und-Mandat- Frage“ verlangte.

In den Mittelpunkt des Parteitags rückten daher die Wahlnachbereitung und das schlechte Abschneiden im Osten. An Bekenntnissen zur Einheit und zur gemeinsamen Verantwortung ließen es weder Vorstandssprecher Ludger Volmer noch seine Ost-Kollegin Marianne Birthler fehlen. Doch der schon lange schwelende Streit zwischen den ehemaligen Bürgerrechtlern und den West-Grünen um den richtigen Kurs entlud sich in Köln nicht in einer offenen Aussprache, bei der Roß und Reiter genannt wurden. Falsche Töne und unklare Andeutungen prägten die Beiträge, so daß der Eindruck aufkam, hier redeten zwei Gruppen nicht miteinander, sondern übereinander. So erklärte Ludger Volmer etwa das „Image, das wir im Osten haben“ zum eigentlichen Problem und verlangte, die Partei dürfe über Demokratie und Ökologie die Alltagssorgen und sozialen Interessen der Menschen nicht vergessen. Auf mittlere Sicht würden im Osten von den drei Parteien SPD, Bündnisgrüne und PDS nur zwei überleben.

Seiner Forderung nach einer Öffnung der Partei für ehemalige SED-Mitglieder schob Volmer in Frageform gekleidete Argumente nach: Die Konzentration auf jene, die in der DDR „offenen Widerstand“ geleistet hätten, sei falsch gewesen, da es doch auch in der DDR „überall kleine Gorbatschows“ gegeben habe, die „aus dem Apparat heraus versuchten, die Entwicklung umzulenken“. Denen habe jedoch niemand ein Angebot gemacht. Die „offene Opposition“ der alten DDR müsse den „internen Reformern“ der SED, die heute PDS wählten, die Hand reichen.

Den Delegierten vom Bündnis 90, die als ehemalige Bürgerrechtler gemeint waren, stieß das sauer auf. Werner Schulz, der als Redner nicht ausgelost wurde, gab seine Meinung den Journalisten zum besten. „Die Rede triefte vor Ahnungslosigkeit“, beschwerte er sich: „Es hat nicht Tausende von Gorbatschows in der SED gegeben, die nun an unsere Tür klopfen.“ Nicht Anpassung an West-Forderungen, sondern die Veränderung des Erscheinungsbildes der Gesamtpartei und einen spezifischen Wahlkampf für die neuen Länder empfahl Schulz: „Wir werden doch im Osten als Westimport empfunden.“

Der Streit um den Kurs und die Vertretung von Bündnis 90 in der Gesamtpartei wird auch bei der Wahl der Parteisprecher im Dezember eine wichtige Rolle spielen, denn die neuen Länder melden gerade angesichts der schlechten Ergebnisse Ansprüche an. In Köln war die Sprecherfrage schon Thema offener und geschlossener Gesprächszirkel. Die Erfüllung von drei Quoten (Frauenquote, Lagerzugehörigkeit zu Realpolitikern oder Linken und Ostquote), ist fast unmöglich, da nur zwei Posten zu besetzen sind.

Ihr Interesse an einem der SprecherInnenposten haben inzwischen sowohl die Hamburger Realpolitikerin Krista Sager und der frühere niedersächsische Minister Jürgen Trittin vom linken Lager angemeldet, aber auch der nicht mehr im Bundestag vertretene Mecklenburger Klaus-Dieter Feige sowie die im Osten aufgewachsene, aber im Westen lebende Christiane Ziller, die sich eine „Grenzgängerrolle“ zutraut.