piwik no script img

Werden Massendelikte straffrei?

■ Interview mit dem Rechtsanwalt Günter Bandisch

taz: Herr Bandisch, Sie sind Vorsitzender des Strafrechtsausschusses beim Deutschen Anwaltverein. Vor einer Woche hieß es zunächst, der Deutsche Anwaltverein plädiert dafür, daß Massendelikte wie Ladendiebstähle straffrei sein sollten. Wenige Tage später die Korrektur: Der Deutsche Anwaltverein sei doch nicht dafür, daß Massendelikte straffrei sein sollten. Wie denn nun?

Günter Bandisch: Es ist nie Beschlußlage beim Deutschen Anwaltverein gewesen, daß wir für die Straffreiheit aller Kleindelikte sind.

Wir haben beim DAV darüber diskutiert, sind aber noch nicht zu dem Ergebnis gekommen, daß – ganz vereinfacht – vier Schuß frei sein sollten und der fünfte wird dann deliktisch. Oder: Vier kleine Diebstähle kann man begehen, und beim fünften wird's dann strafbar. Das wäre in der Tat ein bißchen blauäugig. Das Stichwort bei der ganzen Sache ist die Entkriminalisierung. Wir denken darüber nach, die sogenannte Kleinkriminalität aus der die Staatsanwaltschaft und die Gerichte belastenden Arbeit herauszunehmen. Und zu dieser Kleinkriminalität zählen nicht nur Ladendiebstähle, sondern auch Schwarzfahren, fahrlässige Körperverletzung im Verkehr, Hausfriedensbruch oder auch Sachbeschädigung.

Inwiefern belasten diese Bagatelldelikte die Gerichte?

Nur in den drei Bereichen Schwarzfahren, Ladendiebstahl und fahrlässige Körperverletzung im Verkehr werden jährlich Verfahren eingeleitet, die siebenstellig sind – das geht in die Millionen. Ungefähr die Hälfte bis zu zwei Drittel aller dieser Ermittlungsverfahren werden wegen Geringfüggigkeit eingestellt.

Wie sollten diese Delikte Ihrer Meinung nach behandelt werden?

Ein Denkansatz wäre, die Massendelikte werden zu reinen Privatklagedelikten herabgestuft. Das hieße, daß die Staatsanwaltschaft nicht tätig wird, sondern daß der Verletzte sich selber an das Gericht wenden muß, wenn er das Delikt verfolgt sehen will. Eine zweite Alternative wäre, man stuft die sogenannten Kleindelikte zu Ordnungswidrigkeiten herunter. Dann könnten sie, so wie wir das aus dem Bereich des Straßenverkehrsrechts kennen, durch die Polizei mit Bußgeldbescheiden geahndet werden. Das hätte einmal zur Folge, daß für die Beschuldigten keine Vorstrafen zustande kämen. Andererseits wären die Gerichte natürlich entlastet. Natürlich kann derjenige, der sich für absolut unschuldig fühlt, immer noch in den Einspruch gehen.

Umgangssprachlich bleibt es dabei trotzdem bei einer Bestrafung.

Bei einer Sanktionierung. Das Bußgeld im Ordnungswidrigkeitenrecht ist juristisch keine Strafe.

Interview: Karin Flothmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen