„Der Postbote hätte kaum geholfen“

Vor dem Berliner Landgericht verteidigte sich der ehemalige DDR-Unterhändler Vogel gestern gegen den Vorwurf der Erpressung und die Interpretation seiner MfS-Kontakte  ■ Aus Berlin Julia Albrecht

„Hohes Gericht“ – nach vielen Stunden mit Anträgen der Verteidiger Wolfgang Vogels und Gerichtsbeschlüssen, nach aggressivem Geplänkel zwischen den Anwälten und Oberstaatsanwalt Bernhard Brocher –, begann der Angeklagte Wolfgang Vogel gestern mit der Verlesung seiner Erklärung.

„Die einzige Stelle, die in den 35 Jahren der Klassenjustiz der DDR Hunderttausenden zur Ausreise verhelfen konnte, soll ein Ganovensyndikat gewesen sein.“ Vogel sprach zunächst mit leicht belegter Stimme. Vielleicht deshalb, weil er sich „disziplinieren“ mußte, um angesichts der massiven Vorwürfe gegen seine Person nicht ausfallend zu werden. Die Anklage, so Vogel, beruhe auf „wahrheitswidrigen Behauptungen von Ausgereisten, die heute ihre Grundstücke zurück haben wollen.“ Die Staatsanwaltschaft brachte von mehr als 250.000 Ausreisefällen 21 zur Anklage. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft soll Vogel (69) diese Menschen erpreßt haben, ihre Grundstücke herzugeben, um mit diesen Immobilien eigene Freunde oder Mitglieder des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zu begünstigen. Die gebotenen Preise waren niedrig und wurden zum Teil noch nicht einmal bezahlt.

In ihrer Anklageschrift schilderte die Staatsanwaltschaft den Angeklagten Vogel als Teil des Machtapparates der DDR. Er selbst trage Schuld an der Zwangssituation, derer sich die Ausreiswilligen ausgesetzt sahen. Vogel, so die Staatsanwaltschaft, war an den Entscheidungen, ob jemand ausreisen durfte oder nicht, direkt beteiligt. Er war nicht lediglich ein Vermittler. Ihm oblag es zu entscheiden, so Oberstaatsanwalt Brocher, ob ein Antragsteller zurückgewiesen oder aber die Ausreise gestattet wurde; natürlich nur gegen harte Devisen oder billig verkaufte Immobilien. So habe Vogel beispielsweise Antragsteller dann zurückgewiesen, wenn sie vorschlugen, ihre Grundstücke an Verwandte zu übereignen und ihnen gedroht, daß sie dann in der DDR bleiben müßten. Nicht zuletzt habe Vogel erhebliche Kaufpreisanteile „für sich abgezweigt“.

Vogel über Vogel: „Ich erkenne mich weder als Mensch noch als Anwalt in dieser Anklageschrift wieder.“ Die angeklagten Fälle ließen sich nur aus der Gesamtschau seiner anwaltlichen Tätigkeit erklären. So herausseziert, würden sie ein vollkommen falsches Bild seiner Tätigkeit wiedergeben und lediglich zeigen, daß die Staatsanwaltschaft „geschichts- und wirklichkeitsblind“ sei. „Es ist ja nicht so, daß ich zu den Leuten ging. Sie kamen zu mir, weil sie ausreisen wollten.“

Vor allem gegen den Vorwurf, selbst ein Teil der Systems zu sein, setzte Vogel sich zur Wehr. Seine Kontakte zum MfS habe er nie und zu keinem Zeitpunkt, weder vor noch nach der Wende, verschwiegen. „Ich mußte mit den Mächtigen und nicht mit den Ohnmächtigen sprechen. Der Postbote hätte mir kaum weiterhelfen können.“ Erbost reagierte der Anwalt auch darauf, daß er bislang keine Gelegenheit gehabt hätte, sich vor der Staatsanwaltschaft zu äußern. Auch seien von seinen 82 Beweisanträgen bis auf einen alle zurückgewiesen worden. In diesen Beweisanträgen hatte er hochrangige Zeugen benannt, Westpolitiker und Diplomaten vor allem, die auch noch heute für ihn aussagen würden. „Die haben ihr Gedächtnis nicht verloren.“ Er erinnerte daran, daß sowohl die Staatssekretäre aus dem Gesamtdeutschen Ministerium, wie auch Justizminister Klaus Kinkel Leumund abgeben würden, die Vertreter der Kirche, der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein und andere.

Aber auch die anderen werden vor Gericht auftreten, jene Zeugen, die die Staatsanwaltschaft benannt hat, und die heute angeben, daß Vogel ihnen nicht geholfen, sondern sie erpreßt und ihre Zwangslage ausgenutzt habe. „Wie ich mich verhalten habe als Mensch und als Anwalt“, so Vogel, „das sollen ihnen die Zeugen erzählen, die mich erlebt haben.“