Blickt nie zurück: John Zorn

■ John Zorn & Masada begeisterten die überraschten Zuhörer im ausverkauften KITO einem Programm ganz ohne Klezmer

So unterschiedlich wie die musikalischen Facetten John Zorns so buntgemischt war auch das Publikum im vollgestopften KITO. Gesetzte Herrschaften, die Klezmer mögen, ergraute linksliberale LehrerInnen und realosierte Alternative aus der Freejazz-Fan-Ecke und jüngere NasenringträgerInnen mit Hardcore-Vorlieben waren vermutlich mit unterschiedlichsten Erwartungen gekommen. Die meisten wurden wohl enttäuscht und waren dennoch entzückt. Denn was der Altsaxophonist Zorn mit seiner Gruppe Masada bietet, unterscheidet sich doch deutlich von dem, was bisher von ihm zu hören war.

.Wohl selten hat man/frau einen so euphonischen und geradezu gelassenen John Zorn gehört. Obwohl Momente seiner an rasante Filmschnittechnik erinnernde, collagenartige Spielweise nicht fehlten. Diese Elemente des „früheren“ Zorn prägten besonders den ersten Set. Die Anklänge an das Ornette Coleman Quartett der späten 50er, frühen 60er Jahre waren unüberhörbar. Allerdings konsequent weiterentwickelt mit den Ausdrucksmöglichkeiten der letzten dreißig Jahre. Stürmische Unisono-Passagen der beiden Bläser – neben Zorn der großartige Trompeter Dave Douglas – in Affentempo. Dazu eine in weiten Teilen klassisch swingende, rollende Rhythmusgruppe, die auch das Fundament schuf für die einander entgegengesetzten, sich treffenden und umspielenden, dann sich wieder lösenden Melodielinien der beiden Bläser. Dazwischen kurze schreiende Ausbrüche, gemeinsam oder den Wohlklang des anderen konterkarierend. Nicht zu vergleichen mit Zorns hektisch-nervöser Hommage an Coleman von 1988 (Spy vs Spy). Das melodische Material ließ wenig Klezmer-Assoziatonen aufkommen, vermittelte eher orientalischeAnklänge.

Das war im zweiten Set anders. Hier tauchten schon öfter Melodie-Fragmente auf, die an Klezmer erinnerten. Abgesehen von einem kurzen, hektisch vorgetragenen Stück, wie man/frau es von Zorn kennt, überraschte der zweite Set mit ausgedehnten Balladen, wunderschön und erstaunliche Gelassenheit ausstrahlend. Die Musiker spielten geradezu beseelt, ungeheuer konzentriert und traumhaft auf einander eingespielt. Greg Cohen (b) und Kenny Wollesen (dr) erwiesen sich nicht nur als stilsichere Rhythm-keeper, sondern auch als inspirierte Solisten. Insbesondere Schlagzeuger Wollesen bot zwei beeindruckend ideenreiche Soli. Trompeter Douglas brillierte mit überraschenden Intervallsprüngen, fingerflinken Linien und variationsreichem Ausdruck.

Zorn bewies einmal mehr, daß er auf dem Altsaxophon weit mehr zu bieten hat als nervös überblasene Töne. Er blies vorwiegend mit ungewohnt warmem Ton, ließ nur manchmal etwas Schärfe hören und lieferte sich ansonsten grandiose Dialoge mit Douglas. Die ZuhörerInnen feierten den aufregenden Auftritt begeistert und konnten in dem Bewußtsein nachhause gehen, ein musikalisches Highlight miterlebt zu haben.

Arnaud