Mord im Schulheft

■ Emil und die Detektive sind out. Heute gehen Kinder über Leichen: „Ich habe meinen Lehrer geschlachtet!“

„Also, ich hab meinen Lehrer umgelegt“, erklärt die 14jährige Alex und kichert. Die gleichaltrige Claudia hat ihre Schwester ins Jenseits befördert. „Das mußte sein, die ist einfach total nervig.“ Das blasse Kindergesicht von Claudia bleibt völlig unbeweglich, harmlos schielt die Musterschülerin über ihre Brille hinweg. Alles Schein, in Wirklichkeit ist Claudia ein Zombie. Sie macht kurzen Prozeß mit allen, die ihr im Weg stehen. Sie läßt sie töten oder wenigstens berauben, je nachdem. „Danach bin ich immer viel ruhiger“, gesteht sie.

Probleme hat Claudia nur mit den anschließenden Polizeiverhören, die kommen ihr „immer so langweilig“ vor. „Kann man 12 Leute hintereinander vernehmen lassen, oder ist das nicht zu empfehlen,“ fragt die gespielte Unschuld ihr erwachsenes Gegenüber: „Nein, davon ist sicher abzuraten“, bestätigt Jürgen Alberts die Kleine, die daraufhin schon wieder zu ihrem Mordinstrument, dem Bleistift, greift und hinter dem Sichtschutz der Armbeuge irgendwas niederkritzelt.

Alle Indizien beweisen, daß Jürgen Alberts, der berühmte Bremer Autor, der eigentliche Drahtzieher ist. Er hatte schließlich die Idee zum Krimiwettbewerb, die Bremer Stadtbibliothek hat lediglich Duchführung übernommen. Bis zum 30.11., dem letzten Abgabetermin, werden voraussichtlich Stapel von bis zu achtseitigen Mordplänen in den 16 Jugendbibliotheken eintreffen. „Es wird überall fleißig geschrieben“, hat Alberts gerüchteweise gehört.

Die etwa zwanzig SchülerInnen des achten Jahrgangs, die sich in der Jugendbibliothek an der Julius-Brecht-Allee versammelt haben, lassen sich jedenfalls die Gelegenheit nicht entgehen, ihre Lieben daheim auf legale Weise in den Orkus zu schicken. Bei Jürgen Alberts holen sie sich die Tricks, wie sie Spuren verwischen, die LeserInnen auf falsche Fährten schicken, wie sie verwirren und durch gute Recherchen Spannung aufbauen können.

„Ich lese zur Zeit viel Sherlock Holmes“, outet sich ein Knirps, mit seinen vielleicht acht Jahren eigentlich zu jung zum Mitmachen, als ausgebuffter Profi: „Der Inspektor informiert die Leser erst am Ende über Details. Ist das ratsam?“ Das könne schnell langweilig werden, meint Alberts, der offensichtlich Holmes nicht für den besten Zeremonienmeister hält.

Doch er bleibt zurückhaltend bei der Bewertung all der erlauchten traditonsreichen Krimifiguren, die in den Köpfen der SchülerInnen herumspuken, aber dort auch auf Widerstand stoßen: „Muß ein Krimi immer gut ausgehen“, will ein Harmlostuer wissen. Nein, beruhigt der Meister. Die Zeiten seien, sieht man einmal ab von Amerika, heute vorbei. Für einen kurzen Moment zuckt ein teuflisches Grinsen um die Mundwinkel des Kleinen. Alberts sieht sich genötigt zu betonen, daß ein guter Krimi auch ohne Leichen auskommen kann. Jetzt grinsen noch mehr. Dabei wissen sie, was sie tun. Und auch, wie man es verkauft: Es muß, das ist doch klar, spannender sein als dieser verschnarchte graue Panter Derrick. „Spannung ist, wenn man nicht mehr wagt, aufs Klo zu gehen. So muß es sein.“

Natürlich sind alle überzeugt, den ersten Preis, die 500 Mark also zu gewinnen. Der zweite, eine Fahrt zur Buchmesse, ist beinahe weniger interessant als der dritte Preis mit Buchpaketen und Spielen. Sollte selbst das nicht klappen, werden sie mindestens und mit tödlicher Sicherheit zu den Bibliotheksgewinnerinnen zählen, deren Arbeiten in einem Buch veröffentlicht und im Radio verlesen werden. Doch bis dahin werden noch manche andere Gangsterbosse dem öffentlichen Aufruf zum Mord folgen.

Dora Hartmann

Bis zum 30.11. können SchülerInnen des 8. Jahrgangs ihre Arbeiten bei allen Jugendbibliotheken einreichen.