On the road again

■ Fünf Jahre nach der Wende schritt Ralph Giordano noch einmal den innerdeutschen Grenzstreifen ab: "Grenze '94 - Ein deutsches Tagebuch" zum Jahrestag des Mauerfalls um 21.45 Uhr in der ARD

Im Jahre 1978 reiste Ralph Giordano die deutsch-deutsche Grenze entlang und drehte für den SFB die Dokumentation „Grenze '78 – Ein deutsches Tagebuch“. Das brachte ihm vom SFB ein paar Mark und von der SED zehn Jahre Einreiseverbot. 16 Jahre danach hat der WDR Giordano nochmal auf die Reise geschickt. Im Prinzip dieselbe Route wie damals (von der Ostsee bis zum Fichtelgebirge, nur diesmal links und rechts der Ex-Grenze), aber natürlich war diesmal alles ganz anders.

Drei Wochen lang hat Ralph Giordano verrottende Beobachtungstürme erstiegen, auf den ehemaligen Kolonnenwegen von der Geschichte unbeschwerte Spaziergänger gefilmt, Industriebrachen und idyllische Landstriche entdeckt und in Marienborn ein verzweigtes Tunnelsystem unter dem ehemaligen Grenzübergang erkundet. Und zwischendurch hat er immer wieder einfach irgendwo angehalten, eine Kneipe aufgesucht und bei einem Schwätzchen mit Thekenstehern die Stimmung im Lande erkundet.

Was der Forscher in Sachen deutsch-deutscher Befindlichkeit da dies- und jenseits der ehemaligen Grenze an Erkenntnissen zutage förderte, ist so neu nicht. Wessis, die über Zunahme von Autodiebstählen lamentieren, Ossis, die sich über die Freiheit freuen, aber der Vollbeschäftigung und kostenlosen Krippen nachtrauern. Obendrein kommt Giordanos Off-Kommentar bisweilen etwas gestelzt daher („Sorglose Spaziergänger, wo vor einem Lidschlag der Geschichte noch Stacheldraht und Minen drohten“), und Jossi Kaufmann (Kamera/Regie) tut vorwiegend so, als seien Zoomobjektive so ziemlich der letzte Schrei in Sachen Bildeffekt.

Interessanter wird's, wenn Giordano Gesprächspartner von einst aufsucht und nach dem Vorher- nachher-Prinzip Bilder aus seinem Film von 1978 einbaut. So etwa jenes alte Ehepaar/West, das seinerzeit gerade in Grenznähe eine Ferienpension eröffnet hatte, aber die unwirtliche Gegend eigentlich wieder verlassen wollte. 1994 leben sie immer noch da, aber der Traum vom Aufschwung nach dem Fall der Mauer blieb unerfüllt. Der Laden läuft noch immer nicht. Sehenswert wird der Film letztlich nur durch Giordanos uneingeschränkt subjektive Sicht der Dinge. Kaum eine Sequenz, die nicht verdeutlicht, daß hier einer unter der deutschen Teilung gelitten hat und nun staunend vor den verrottenden Grenzanlagen steht und alles noch immer nicht recht glauben kann. Reinhard Lüke