Eine Art Pessimismus. Oder Optimismus.

■ Der ägyptische Linguistikprofessor Nasr Hamed Abu Zaid wird bedroht, weil er es gewagt hatte, den Koran mit linguistischen Methoden zu analysieren. Ein Gespräch über Angst, den Anschlag auf ...

„Er ist ein Abtrünniger“, schreien die ägyptischen Islamisten. Seit über einem Jahr deuten sie nun mit dem Finger auf den ägyptischen Linguistikprofessor Nasr Hamed Abu Zaid. Sein Vergehen: Er hatte es gewagt, mit linguistischen Methoden heilige Texte zu analysieren. Seitdem findet der 51jährige Professor keine Ruhe mehr. Er steht auf den Todeslisten der militanten Islamisten. An der Universität wird ihm jegliche Beförderung verweigert, und einige islamistische Anwälte haben versucht, ihn als Apostaten – einen von der Religion Abgefallenen – zwangsweise von seiner muslimischen Frau zu scheiden. Bisher ohne Erfolg. Das Ende der Gerichtsverfahren um seine Beförderung und seinen Scheidungsprozeß steht noch aus.

taz: Was haben Ihre Gegner konkret gegen ihre Arbeit einzuwenden?

Nasr Hamed Abu Zaid: Ich versuche nur, neue Methoden anzuwenden, um heilige Texte wie den Koran zu studieren. Da diese Methoden in meinem Land weitgehend unbekannt sind, sind sie vor allem den traditionellen islamischen Rechtsgelehrten suspekt. Sie glauben, daß jeder, der an den Koran mit modernen Methoden herangeht, den göttlichen Ursprung des Textes nicht anerkennt. Ich finde das falsch. Wenn wir an dessen göttlichen Ursprung glauben, dann muß es uns auch möglich sein, die Bedeutung des Textes mit den Methoden aufzudecken, die uns heute zur Verfügung stehen.

Wenn Sie über Ihre Methoden sprechen, klingt das eigentlich nicht sonderlich spektakulär. Warum die ganze Aufregung?

Vor kurzem wollte ich in der Apotheke um die Ecke etwas einkaufen. Der Apotheker hatte nie irgend etwas von mir gelesen, aber gehört, daß da jemand in seiner Nähe wohnt, der als Apostat verschrien ist, und er hat mich erkannt. Er fragte mich, ob ich Muslim sei und beten würde. „Es scheint“, so sagte er, „daß alle, die Sie verteidigen, entweder Kommunisten oder Christen sind.“ Ich habe ihm meine Ideen kurz auseinandergesetzt. Am Ende gab er zu, daß ich für nichts davon angeklagt werden könnte. Ich habe langsam das Gefühl, daß ich zu meiner Verteidigung mit jedem persönlich sprechen muß. Meine Gegner dagegen haben Zugang zu den Freitagspredigten in den Moscheen, wo ich als Abtrünniger vom Islam verurteilt werde.

Sie sind an der Universität täglich der Öffentlichkeit ausgeliefert. Was sagen ihre Studenten zu ihren Theorien?

Nachdem mein Fall durch die Presse gegangen war, fingen die islamistischen Studenten an, lauter zu werden. Ich habe beschlossen, das zu ignorieren und versuche ruhig zu reagieren, obwohl die Studenten immer harscher werden. Es ist sehr verletzend, wenn man den Draht zu seinen Studenten verliert. Ich habe immer gesagt: „Bitte benutzt diese Worte nicht, das ist sehr gefährlich.“ Sie behaupten, daß ich gegen den Islam bin. Sie würden das Wort Apostat zwar nicht benutzen, aber indirekt meinen sie es. Das ging mir wirklich an die Nerven, und Studentenzahl macht eine ruhige Diskussion unmöglich. Manchmal doziere ich vor mehr als tausend Studenten. Jetzt denke ich von Zeit zu Zeit darüber nach, das Land zu verlassen, um mich selbst wiederzufinden und an meinem Projekt weiterzuarbeiten.

Wie lebt man mit täglichen Morddrohungen?

Ich glaube an Vorbestimmung, vor allem, was den Tod betrifft. Aber in der Universität und vor meinem Haus habe ich Bewacher. Der an der Universität folgt mir auf Schritt und Tritt. Das gefällt mir nicht. Er folgt mir sogar in den Seminarraum. Das ist in den Augen der Studenten schlecht, weil sie die Regierung nicht mögen und ich von einem Regierungsvertreter bewacht werde.

Ich lebe außerhalb Kairos, und die Fahrt auf der Wüstenstraße in die Stadt dauert lange. Meine Frau und ich versuchen, der Angst mit Humor zu begegnen. Meine Frau ist sehr schlank, ich dagegen bin sehr dick. Als sie neulich am Steuer saß, sagte sie: „Wenn sie jetzt auf unser Auto schießen, mußt du dich nach unten ducken.“ Ich deutete auf meinen Bauch und meinte, daß ich dazu wohl kaum fähig sei. Meine Frau antwortete, daß sie mich mit ihrem Körper schützen könnte, obwohl er nur ein Fünftel des meinigen abdecken würde. „Aber“, sagte sie, „du bist so dick, daß die Kugel vielleicht nicht das Innere deines Körpers erreicht.“ Und dann haben wir gelacht. Das ist die einzige Möglichkeit, den Augenblick zu leben und die nächste Stunde zu vergessen. Es ist eine Art Pessimismus. Oder Optimismus. Ich weiß nicht genau. Irgendwie glaube ich nicht, daß mich jemand töten will, außer er ist absolut verrückt.

Das hat der ägyptische Schriftsteller Nagib Mahfus auch geglaubt, aber vor wenigen Wochen wurde er vor seinem Haus niedergestochen. Wie haben Sie diese Nachricht aufgenommen?

Mahfus ist für mich mehr als ein Schriftsteller. Er steht irgendwie über allem. Als ich zwölf Jahre alt war, hat mir ein Freund einen Roman von Mahfus zum Lesen gegeben. Für mich war es, als ob sich ein Fenster öffnet. Seitdem verfolge ich jedes Wort, das Mahfus schreibt. Ich kann den Schock über den Anschlag nicht beschreiben. Nie hätte ich geglaubt, daß er Ziel irgendeiner Feindlichkeit sein könnte. Mein Leben ist seither nicht mehr das gleiche. Ich habe ernsthaft angefangen zu überlegen, das Land zu verlassen. Wenn sie Mahfus töten wollen, dann wollen sie jeden Intellektuellen töten. Das ist eine Art Nachahmung von Algerien.

Alle dachten sofort an Algerien, als sie vom Anschlag auf Mahfus hörten. Ist das eine vergleichbare Situation?

Algerien hat einen anderen politischen und geschichtlichen Hintergrund. Man hatte versucht, das Land in eine westliche Gesellschaft umzuwandeln, die arabische Sprache und alles zu zerstören, was an seine alte Identität erinnerte. Ägypten dagegen hat seine Identität als ein arabisches und islamisches Land nie verloren. Dazu kommt, daß die Islamisten 1990 die Wahlen gewonnen haben. Es war ein Verbrechen, sie mit Hilfe der Armee davon abzuhalten die Macht zu übernehmen. Wenn die Menschen die islamische Lösung wollen, dann soll man sie das versuchen lassen. Wollen etwa einige militärische und intellektuelle Eliten entscheiden, was gut und schlecht ist?

Würden Sie in einer Situation, in der die Islamisten in Ägypten die Macht übernähmen, genauso reden wie eben über Algerien, trotz der Gefahr, die für Sie dabei entstünde?

Ich unterscheide zwischen meiner persönlichen Situation und den sozialen und kulturellen Problemen Ägyptens. Sicher, wenn die Islamisten regierten, könnte ich einer der ersten sein, der exekutiert wird. Aber selbst das ist nicht sicher. Als Intellektueller denke ich über das Dilemma nach, in dem sich mein Land befindet. Wenn sich die Menschen in einer wirklich demokratischen Wahl für die islamische Lösung entscheiden, dann können wir ihnen dieses Recht nicht nehmen, außer wir wären Antidemokraten.

Der einzige Weg, der der arabischen Welt heute offensteht, besteht darin, die Menschen das erste Mal in ihrer Geschichte wählen zu lassen. Sie haben das Recht, etwas auszuprobieren und auch das Recht, den Preis dafür zu zahlen. Ich habe das Gefühl, daß den Muslimen die islamische Lösung immer wie eine verbotene Frucht erscheint. Niemand kann sie daran hindern, sie zu versuchen. Das ist für sie wie ein Traum. Man kann Menschen nicht von ihren Träumen abhalten. Besonders dann nicht, wenn keine einzige Regierung eine Lösung für die Probleme zu bieten hat.

Die Rechtfertigung für den Eingriff der Armee in Algerien war, Blutvergießen zu verhindern. Und jetzt? Wenn die Islamisten heute seit über drei Jahren an der Macht wären, hätten sich viele Dinge vielleicht bereits verändert, bis hin zu ihrem eigenen Denken.

Vor einigen Tagen hat sich Mahfus darüber beschwert, daß einige Zeitungen seinen umstrittenen Roman „Die Kinder in unse

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rer Gasse“ veröffentlichen. Er fürchtet, sein Werk könnte derzeit mißverstanden werden ...

Er hat recht. Er hat gesagt, es sei nicht die Absicht des Romans, gegen die Religion zu polemisieren. Die Veröffentlichung einzelner Kapitel aus dem Buch ist eine Provokation gegenüber religiösen Gefühlen. Egal, ob das stimmt oder nicht, so wird es gesehen. Das ist wie mit einer Serie von Veröffentlichungen der staatlichen Verlagsorganisation. Dort haben sie berühmte Schriften von Schriftstellern aufgelegt, die als moderne, liberale arabische Denker gelten. Der Titel dieser Serie, „Die Konfrontation“, war gegen die Islamisten gerichtet. Man hat dabei aber nicht in Betracht gezogen, in welcher Atmosphäre wir leben. Die Öffentlichkeit kann nun den Eindruck haben, daß diese Schriftsteller etwas gegen den Islam geschrieben haben. Mein Gott – das dauert ein halbes Jahrhundert, bis dieser Schaden wieder behoben werden kann und diese Schriftsteller ihre ursprüngliche Stellung zurückerhalten.

Viele Intellektuelle sind faul geworden. Ich habe beispielsweise viel Unterstützung für meine Person bekommen, aber nicht für meine Ideen. Eine Person zu verteidigen, ist eine Reaktion auf einen Angriff gegen diese Person. Ihre Analysen und Methoden zu verteidigen ist viel arbeitsaufwendiger. Wenn wir Mahfus verteidigen wollen, müssen wir viel arbeiten, nicht einfach nur veröffentlichen.

Haben Sie Angst, im Kulturkrieg zwischen dem Westen und dem Islam nicht auch gelegentlich mißbraucht zu werden?

Ich war eine Woche zu Besuch in Deutschland und nervös, daß mich irgend jemand oder eine Institution mißbraucht. Wenn sie mich nur mit der Begründung feiern wollen, daß ich gegen den Islam bin, dann liegen sie falsch. Ich bin ein Gelehrter und ein Muslim, und das ist mir sehr wichtig.

Die westlichen Medien haben das Phänomen des Fundamentalismus zwar nicht geschaffen, aber sie haben es aus einer westlichen Sicht konzeptionalisiert und wieder in die islamische Welt reimportiert. Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Diskussionen im Westen und der Situation in der islamischen Welt. Wenn jemand in BBC oder in der Zeitung sagt, daß wir den Kommunismus los geworden sind und nun mit dem neuen Feind Islam konfrontiert sind, dann unterstützt diese Aussage den Fundamentalismus im Nahen Osten. Die Menschen sehen das als einen Beweis, daß man mit Hilfe des Islam den Westen bekämpfen kann. Es gibt Fehler auf beiden Seiten. Wir müssen sehr vorsichtig sein. Es gibt viele einfache Erklärungen. Und wenn wir auf eine solche einfache Erklärung für ein Phänomen stoßen, dann müssen wir sie genau untersuchen, bevor wir sie akzeptieren.

Interview: Karim El-Gawhary

Von Nasr Hamed Abu Zaid erschien im dipa Verlag: „Islam und Politik. Kritik des religiösen Diskurses“ Aus dem ägyptischen Arabisch von Chérifa Magdi. 1994, 250 S., 36 DM