■ Korea ist immer noch ein tief gespaltenes Land: Die Deutschen haben's leichter
An eine unvertraute Brust gedrückt oder von wildfremden Menschen mit Tränen in den Augen beglückwünscht zu werden ist ein ungewohntes Gefühl. Wenn das Ganze vor fünf Jahren stattfand, die Brust eine koreanische und das Auge ein chinesisches war, dann konnte der Anlaß nur Begeisterung über den Fall der Mauer in Deutschland sein. „Welch großes Glück!“ sagten die ostasiatischen Bekannten damals immer wieder, und in ihrer Freude war die unverhüllte Zuversicht zu sehen, daß die Spaltung ihrer Länder auch bald aufgehoben werden würde. Und dann würde alles gut werden.
Die überschwengliche Freude ist nüchternem Interesse gewichen. Was würde geschehen, wenn nordkoreanische Soldaten an der Waffenstillstandslinie am 38. Breitengrad plötzlich ihre Landsleute nach Süden spazieren ließen? fragten sich die Politiker und Geschäftsleute in Seoul. Auch wenn es keine genauen Daten über die wirtschaftliche Lage im Norden gibt, wenn Berichte über meuternde Militärs und hungrige Bauern nur auf Gerüchten und Hörensagen beruhen: Niemand bezweifelt, daß Nordkorea bitterarm ist. Das Klagen der Westdeutschen über die Kosten der Einheit wäre ein Nichts im Verhältnis zu den Tönen, die aus Südkorea kämen, wenn die dortige Gesellschaft für ihre entfremdeten Verwandten sorgen sollte. Mehrere hundert Milliarden Dollar müßte der Süden aufbringen, hat man in Seoul gerechnet. Das wäre auch mit Hilfe Japans und der westlichen Industrieländer nicht zu schaffen.
Was wären das aber für Menschen, die da über die Grenze gelaufen kämen? Außer einigen geschnappten Spionen und nordkoreanischen AttentäterInnen, die nach ihrer Bearbeitung durch die südkoreanischen Geheimdienste der Öffentlichkeit vorgeführt wurden, sind in den vergangenen Jahren nur wenige NordkoreanerInnen in den Süden gelangt.
Vierzig Jahre lang hatten die Politiker des Nordens und des Südens die Menschen auf ihrem Teil der koreanischen Halbinsel so absolut gegeneinander abgeschottet, wie es die Deutschen nie waren. Während die Regierungen in Pjöngjang und Seoul das Ziel der Wiedervereinigung beschworen, verboten sie jeden wirklichen Kontakt ihrer StaatsbürgerInnen. Mehr noch: Sie bestraften ihn mit Gefängnis oder Arbeitslager. Nordkoreaner, die aus den sibirischen Holzlagern flohen und an die Pforten der südkoreanischen Botschaften klopften, wurden erst in den letzten Jahren, und immer noch unwillig, eingelassen.
Der Entfremdung entspricht eine fast paranoide Furcht vor Spionen. In Südkorea ist immer noch das Nationale Sicherheitsgesetz in Kraft, aufgrund dessen jeder, der als Sympathisant des Nordens gilt, ohne Gerichtsverfahren eingebuchtet werden kann. Dies hat zu einer ganz zwiespältigen Haltung geführt: Das Verbot des Kontaktes zum Norden und die politisch bis vor kurzem streng autoritäre Politik der Regierung bewirkten bei nicht wenigen Oppositionellen, daß sie sich ein sehr verklärtes Bild von Nordkorea machen.
Trotz des Kriegsgeschreis in diesem Jahr hat sich zumindest im Süden längst die Einsicht durchgesetzt, daß das Regime im Norden nicht mehr lange überleben kann. Jetzt hofft man in Seoul, daß der junge Kim Jong Il es noch lange genug macht. Damit es nämlich nicht zu einem plötzlichen Zusammenbruch, sondern zu einem langsamen Übergang kommen möge. Jutta Lietsch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen