Die Schlange ist Rußlands Wappentier

■ Warum ist das Benzin in Moskau knapp?

Moskau (taz) – Pünktlich zu den Revolutionsfeiertagen gab es wie gehabt eine Überraschung für die Moskauer. Früher füllten sich die Läden, diesmal leerten sich die Tanks. Am Anfang war das Gerücht, dann die Schlange und schließlich kein Benzin. Kilometerlang ziehen sich Kolonnen hin, erst einreihig, dann janusköpfig. Die Schlange ist trotz des russischen Adlers das eigentliche Wappentier und Rußlands adäquates Ordnungsprinzip. Nur in ihr herrscht Disziplin, wonach sich viele sehnen. Gehört man zur arbeitenden Bevölkerung, hat weniger Probleme mit Disziplin, bedeutet einem Schlangestehen bei Minusgraden kein Lustgewinn, ist man auf den sanktionierten Regelverstoß angewiesen, den das Prinzip selbstverständlich bereit hält: vorbeischlängeln. Wie geschehen am Freitagabend. In Rußland gilt Rechtsverkehr, doch gewöhnlich kann man „von links“ tanken, so der Volksmund. Kostenpunkt: der drei- bis achtfache Literpreis. Selbständige Tankwarte finden sich im Nu. Nun versiegt auch diese Quelle. Wo ist das Benzin? Keiner hat eine Antwort. Moskaus Raffinerie sprach von prophylaktischen Reparatur- und Säuberungsmaßnahmen. Will man dagegen etwas sagen? Mehr als ein Viertel des üblichen Ausstoßes kann davon nicht betroffen sein. Ganze Anlagen werden nie dichtgemacht. Eine andere nicht unglaubwürdige Erklärung kursierte, die Stadt Moskau habe alte Rechnungen nicht beglichen. Das Dementi folgte. Wahrscheinlich ist alles viel einfacher. Die Staatsmonopolisten wollen mehr absahnen und produzieren ein künstliches Defizit. Wer am Wochenende bereit war, ein Vielfaches des alten Preises hinzublättern, wird mit Erleichterung nur noch das Doppelte zahlen, ganz so, als wäre alles beim alten geblieben. khd