Die Vereinigung des Staus

Berlin wächst ein Stück zusammen / Doch die heutige Eröffnung der Oberbaumbrücke symbolisiert eine verfehlte Verkehrspolitik  ■ Aus Berlin Dirk Wildt

Die Straßenbahnschienen auf der Oberbaumbrücke sind verlegt. Doch wenn heute um elf Uhr der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) mit anderer Politprominenz die für 70 Millionen Mark sanierte Brücke eröffnet, wird keine Tram fahren – denn die Bahn hätte wie zu Anfang dieses Jahrhunderts mit Pferden gezogen werden müssen. Weder gibt es einen Stromanschluß, noch finden die Schienen über die Brücke hinaus eine Fortsetzung.

Zwar wird auch an der Verlängerung der U-Bahn-Linie 1 über die Brücke, die die beiden einst von der Mauer getrennten Bezirke Kreuzberg (West) und Friedrichshain (Ost) miteinander verbindet, gearbeitet. Doch die erst für Ende kommenden Jahres vorgesehene Inbetriebnahme droht am Geldmangel zu scheitern. Und die U-Bahn würde auch nicht einmal bis zur wenige hundert Meter entfernten S-Bahn-Station vorfahren — die täglich erwarteten über 100.000 Fahrgäste müssen zum Umsteigen einen unbequemen Fußmarsch in Kauf nehmen.

Diepgen wird heute die Oberbaumbrücke als einen Erfolg für die Arbeit der Großen Koalition und das Zusammenwachsen der Stadt feiern – doch das Bauwerk, Schlüsselstück in einem 18 Kilometer langen Innenstadtring, ist längst zum Symbol verfehlter Verkehrspolitik geworden. Nicht die Stadt wächst heute zwischen Ost und West zusammen, sondern der Stau. Wo seit 1961 kein Auto mehr fuhr, werden nun auf vier Spuren Aspahlt 60.000 Kraftfahrzeuge täglich vorbeibrausen. In umliegenden Straßen mußte das Parken verboten werden, aus Angst, daß sonst die Blechlawine über das vorhandene Straßennetz überhaupt nicht abfließen könnte.

Die Brücke und der geplante Straßenring mit einem 2,4 Kilometer langen und 600 Millionen Mark teuren Tunnel unter dem Tiergarten sind bereits Anlaß für den massivsten Protest gewesen, den Berlin bei der Stadtplanung jemals erlebt hat. Kurz vor den Kommunalwahlen im Mai 1992 demonstrierten 20.000 Anwohner, Bezirkspolitiker und Umweltlobbyisten. Autonome besetzten später die damals nur für Fußgänger passierbare Brücke und bauten ein Hüttendorf.

Doch der Protest half nichts. Bis heute halten CDU und SPD an einer autofixierten Verkehrsplanung in einem Ausmaß fest, von der jede andere Metropole meist aus finanziellen Gründen längst Abstand genommen hat. Geplant ist auch ein „mittlerer Ring“, der im Westteil bereits als Autobahn vorhandenen ist und im Osten fortgesetzt werden soll. Auch hier sind mehrere milliardenteure Tunnel geplant. Die Autobahnen nach Hannover und nach Nürnberg werden da, wo sie es noch nicht sind, auf sechs Spuren verbreitert, der äußerste Ring um Berlin – der Autobahnring – wird ebenfalls auf 26 Kilometern Länge sechsspurig ausgebaut. Vor allem im Ostteil zielen die Verkehrsplaner mit etlichen neuen autobahnähnlichen Tangenten mitten auf das Zentrum der Stadt. Auf dem Berliner Stadtgebiet sind insgesamt 20 Kilometer Autobahnen und 50 Kilometer Schnellstraßen geplant.

Das Geld reicht nicht zum Füllen der Schlaglöcher

Etliche vom Senat vergebene Gutachten kommen zu dem Schluß, daß dennoch der Stau zunehmen wird.

Beim Ausbau umweltfreundlicher Verkehrswege zeigte die Große Koalition dennoch bislang wenig Ehrgeiz. Weder ist das S- und U-Bahn-Netz von 1961 bis heute wiederhergestellt, noch ist auch nur eine der an der ehemaligen Mauer endenden Straßenbahnlinien in den Westen verlängert worden.

Dennoch könnte mit den Straßenbauorgien schneller Schluß sein, als es der Landesregierung lieb ist. Der taz wurde kürzlich eine Senatsvorlage zugespielt, die belegt, daß Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) faktisch pleite ist. Um die Auto- und U-Bahn-Tunnel unter dem Tiergarten und Regierungsviertel zu finanzieren, müssen bis zum Jahr 2002 die finanziellen Mittel im kommunalen Straßenbau auf die Hälfte reduziert werden. Noch nicht einmal mehr jedes Schlagloch könnte ausgebessert werden.

Im öffentlichen Nahverkehr reicht das Geld in den kommenden acht Jahren knapp, um das U-Bahn- und Tramnetz instandzuhalten – Neubauten sind nicht bezahlbar. Die Hauhaltslage ist schon so dramatisch, daß das Land in den kommenden beiden Jahren jeweils einen Kredit von über sechs Milliarden Mark aufnimmt. Und jetzt will der Verkehrssenator auch noch überraschend 340 Millionen Mark zusätzlich haben.

Wenn der Regierende Bürgermeister heute in der Mitte der Brücke mit feierlicher Miene das Band durchschnitten hat, wird er sich zum nächsten Termin durch den Großstadtverkehr quälen – den Stau im Dienst-Daimler aussitzend.