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Heym, Biermann, Sandmann

Die „Identifikationsfigur“ des Ostfernsehens wird am 22. November 35 Jahre alt / Zwei Ausstellungen für die graue Kinderfernseh-Eminenz  ■ Von Barbara Bollwahn

Marlene Dietrich soll einen gehabt haben, der Kosmonaut Siegmund Jähn nahm ihn mit ins halbsozialistische Weltall: das Sandmännchen, Kultfigur des DDR- Kinderfernsehens, das am 22. November 35 Jahre alt wird. Auch die vierjährige Lisa und ihr achtjähriger Bruder Robert aus Köpenick spielen mit dem Gute-Nacht- Männchen. Die Geschwister verdanken das Geschenk dem Engagement ihrer Eltern, die vor fast vier Jahren zusammen mit einer Spandauer Familie die Elterngruppe „Rettet den Sandmann!“ gründeten. Als Anerkennung für die mehr als 300.000 gesammelten Unterschriften wurden sie in der Vorweihnachtszeit 1990 in die Sandmann-Studios nach Mahlsdorf eingeladen, wo auch heute noch die Abendgrüße produziert werden.

Eltern und Kinder retten ihre Kultfigur

„Nach unserer Aktion haben sich andere das Sandmännchen an die Backe geheftet“, ärgert sich Birgit Reile, die Mutter von Lisa und Robert. „Was wir gemacht haben, war Management, um die Firma rauszureißen.“ Sie erwartet nicht, mit Preisen überhäuft zu werden. Aber ein Kaffeekränzchen für die Großen und Sandmännchen-Präsente für die Kleinen kommt schon einer wenig telegenen Abspeisung gleich. „Die Sache ist erledigt, der Sandmann läuft“, das ist für die Mutter die Hauptsache.

Auch das Geschäft mit dem grauen Spitzbart läuft auf Hochtouren. Die Rostocker Firma „Nordstar“ verkauft auf der Ausstellung „Sandmann auf Reisen“ im Heimatmuseum Hellersdorf von Bettwäsche über Geschirr und Spielkarten alles, worauf der kleine Mann Platz findet. Kinder, Eltern und Großeltern rennen dem Leiter des Museums, Dieter Winkler, die Bude ein. Er ist froh, daß die Puppen und Modellfahrzeuge, Leihgaben des Filmmuseums Potsdam, hinter Plexiglas ausgestellt sind. „Sonst wäre alles beschädigt, die Kinder stürzen sich drauf.“

Er ist überzeugt, daß nur wenige Persönlichkeiten in der DDR eine ähnliche Popularität wie die „Identifikationsfigur“ Sandmännchen erreicht haben: „Zum Teil Stefan Heym und Wolf Biermann zu bestimmten Zeiten.“ Weil der Spitzbart keine „primitive Agitation und Propaganda“ betrieben habe, sondern in das „normale DDR-Leben“ eingeordnet gewesen ist, sei er angenommen worden, erklärt Winkler den Ansturm von über 10.000 Besuchern pro Woche. Er hofft, die Ausstellung über den 27. November hinaus zeigen zu können.

Ausstellung und Geburtstagswoche im ORB

Der ORB, der den Sandmann zusammen mit dem MDR ausstrahlt, widmet seinem Programmliebling gleich eine ganze Geburtstagswoche. Am 22. November wird außerdem eine neue Sandmannausstellung auf dem Babelsberger Filmgelände eröffnet, die die Sandmannstudio Trickfilm GmbH und die Studio-Tour Babelsberg zusammen mit dem ORB als Dauerausstellung gestaltet haben. Das Filmmuseum Potsdam, „Parkplatz“ von Sandmann-Fahrzeugen wie der Schienenschnee-Fräse, dem Olympiade-Hubschrauber oder dem Delphin-Luftschiff, scheut genauso wenig wie Winkler vom Heimatmuseum Hellersdorf gewagte Vergleiche: „Warum soll nur Bismarck oder den Pharaonen die Ehre einer professionellen Würdigung zuteil werden“, fragt sich die Direktorin des Filmmuseums im Vorwort der Ausstellungsbroschüre. Die gemeinnützige Kinderorganisation „Children for a better world“ jedenfalls scheint diese Ansicht zu teilen und nimmt das Männchen mit dem Sandsack rechtzeitig zum Jubiläum als Ehrenmitglied auf.

Und was ist aus dem „Vater“ des Sandmanns geworden, der 1977 den polnischen „Orden des Lächelns“ erhielt, den auch Peter Ustinov dafür bekommen hat, weil er Kindern „auffallend Gutes“ getan hat? Der Regisseur, Animator sowie Puppen- und Szenenbildner Gerhard Behrendt hat sich vollkommen aus dem Sandmann-Geschäft zurückgezogen. Der ORB schmückt sich zwar mit ihm als „Berater“, aber nach Angaben seiner Ehefrau hat der 65jährige Rentner damit „überhaupt nichts mehr“ zu tun.

Auf jeden Fall noch bis 27.11. ist die Ausstellung „Sandmann auf Reisen“ im Heimatmuseum Hellersdorf, Riesaer/Ecke Jenaer Straße, Di. bis So. von 10 bs 17 Uhr zu sehen. Eintritt frei.

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