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Sex findet nur im Dunkeln statt

■ Verzweifelt gesucht: Schauspieler oder Fahndung nach einem Popstar – Christof-Wackernagel-Retro im Checkpoint

Er hat die Nase voll davon, als Ex-Terrorist gehandelt zu werden. Christof Wackernagel ist Schauspieler und Autor. Aber er war auch Mitglied der RAF und deshalb zehn Jahre im Gefängnis. Diese für RAFler relativ kurze Haftzeit erreichte er durch eine frühe Distanzierung von der Gruppe. Im Knast schrieb Wackernagel Prosa und Theaterstücke, während seiner Freigängerzeit arbeitete er am Schauspielhaus Bochum als Regie- und Dramaturgieassistent. 1988 wurde er aus dem Gefängnis entlassen.

Daß Wackernagel als Schauspieler anerkannt sein will (wie jüngst in „Der bewegte Mann“), ist legitim, dennoch ist es zuallererst seine Biographie, die ihn und seine Arbeit interessant machen. 1967 spielt er einen Jugendlichen, der seinen Adoptivvater erschießt, weil er dessen Erziehungsmethoden nicht mehr erträgt – eine Tat, die jeder nachvollziehen kann, wenn er nur die Schwimmbadszene des Films „Tätowierung“ auf sich wirken läßt. „Erst duschen“, natürlich kalt, befiehlt der Lehrer am Schwimmbecken und: „Kopf in den Nacken!“ Jetzt weiß ich wieder, warum ich noch heute beim Geruch von Chlor Beklemmungen kriege, auch wenn es im „Spaßbad“ niemanden mehr gibt, der am Beckenrand steht und die „Beinarbeit“ korrigiert. Sogar die später abgeschaffte Badekappenpflicht war ein Fortschritt, denn die entstand erst mit den „Langhaarigen“.

Die Reihe mit Filmen aus der Zeit um und vor allem kurz nach '68, die in diesem Monat im Checkpoint-Kino läuft, dokumentiert eindringlich eine Zeit, in der angeblich auf der Straße eine Revolte stattfand. Deren Ausläufer nehmen sich in ihrer verfilmten Art viel harmloser aus, als man am Mythos '68 geschulter Nachgeborener denken würde. Sex gibt's meist nur in kleinen, verklemmten Portionen, zur Tarnung gern in Oswalt- Kolle-Aufklärungsmanier.

Ein sehr schönes Beispiel dafür ist eine Szene aus „Nicht fummeln Liebling“ von 1969/70, wo sich Werner Enke und die grandios betörende Gila von Weitershausen am Planschbecken in der Kinderabteilung des Kaufhauses, das sie in Brand stecken sollen, aus einem Aufklärungsbuch vorlesen und dabei erogene Zonen an Fuß und Arm entdecken. Sex findet hier, wenn überhaupt, nur im Dunkeln statt. Der Titel des Films führt völlig in die Irre, denn eigentlich geht es um die unschuldigen Versuche von Blumenkindern, einen Konsumtempel abzufackeln. Über ihren Körperstudien vergessen unsere Lehrlingsterroristen die Revolution, Otto Sander als geistiger Kopf der Aktion ist natürlich stinkesauer.

In vielen Filmen dieser Zeit wird auf spielerische Art, locker, ja fast zärtlich, mit dem Verdruß an der Gesellschaft umgegangen. Auch in Thomes „Rote Sonne“ plant man einen Brandanschlag, bastelt ungeschickt mit Bomben. Diese Filme erzählen mit märchenhafter Leichtigkeit vom Umgang mit Waffen, zu einer Zeit vor der RAF und vor den ersten realen Kaufhausbrandstiftungen. Daß sie später nicht verboten wurden, spätestens im Herbst '77 unter H. Schmidt, ist fast verwunderlich. Sie verschwanden einfach.

So wie die Leute, die sich in den „Kampf“ verbissen hatten, für die es nur noch Knast, also Hochsicherheitstrakt, oder Untergrund gab. An der Oberfläche herrschte „Die bleierne Zeit“.

Christof Wackernagel ist einer der wenigen, die durch Kunst weiterhin im Rampenlicht stehen (P.P. Zahl lebt mehr oder weniger glücklich und zufrieden in Jamaica) und die man befragen kann. Beide Tätigkeiten, die des Schauspielers und die des Terroristen, sind in ihrer Wirkungsrichtung identisch: sie zielen auf die Öffentlichkeit. Eigentlich ist jemand, der Schauspieler und Terrorist war, ein Popstar. Sein Poster hängt über Jugendbetten und in Amtsstuben. Am Wochenende liest und diskutiert Christof Wackernagel mit dem Publikum im Checkpoint, hoffentlich auch über die RAF. Andreas Becker

Genaues Programm erfragen, Checkpoint, Leipziger Straße 55, Mitte, Tel.: 208 25 96/995.

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