■ Daumenkino
: Jonas in the Desert

Einst stolperte ich mit sieben Filmrollen eines unerhört langen Experimentalfilms zu den Anthology Film Archives in New York; man hatte mir gesagt: Gehste da mal hin, guckste dir das mal an. Als ich mit ausgeleierten Armen aus dem Taxi stieg, kam aus der Tür ein Kerl im Schlapphut mit Triefnase, den ich instinktiv für den Hausmeister hielt. Hausmeistern gegenüber habe ich mir aus Gründen, die man nur in Berlin-Neukölln versteht, im Laufe der Jahre ein etwas altkluges Gehabe angewöhnt, mit dem ich denn auch zur Kenntnis nahm, daß der Mann beherzt, aber durchaus maulfaul beim Transport und beim Einlegen des Dings behilflich war. „So, sie suchen Experimentalfilme zum Holocaust, so so. Ich hätte da was, über Litauen, wissen sie.“ Was red' der Kerl. Was hat der überhaupt für einen Akzent. Dann brachte er mir Jonas Mekas' Reminiscences of a Journey to Lithuania, den ich kannte und morgens und abends gen Osten gerichtet laut pries und immer noch preise, weil es der einzige Fluxus-inspirierte Film zu diesem Thema und trotzdem komplett unprätentiös ist.

Mekas, 1922 geboren, war als Kind Viehhirte in Litauen. Als die Deutschen kamen, war er längst Schreiber für ein freischweifendes Untergrundblatt, nahm Schauspielunterricht, machte einige „Theatersachen“, Lesungen eigener Gedichte. Dann ein Zwangsarbeiterlager bei Hamburg. Nachher Emigration in die USA. New York: Studium bei Hans Richter. Trifft alle, filmt mit allen: Warhol, Jack Smith (wird wegen Vorführung von dessen Flaming Creatures, in dem mehrere Drag Queens somnambul und begeistert an der Brust einer real existierenden Frau herumspielen, verhaftet), mit dem Living Theater, Peter Kubelka, Kenneth Anger, Paul Morrissey, Yoko Ono. Gründet die Filmmakers Cooperative, von der wir hier nur träumen können. (Warhol: „Oh Gee, I joined the – well I knew about the filmmakers cooperative when I was a baby.“) Zum Konzept der Kinemathek kam ein Hang zum Gesamtkunstwerk, Fluxus für die Lower East Side.

Peter Sempels heute startender Film Jonas in the Desert porträtiert Jonas Mekas und die Seinen, versucht aber leider gleichzeitig, sich durch besonders aufdringliche Bildkompositionen in die Entourage von Mekas einzuschleusen. (Beispielsweise filmt er ihn hinter Zoogittern, womöglich um etwas über Mekas' Emigrantenschicksal zu verdeuteln.) Auf die Art dringt man garantiert nicht zu jemandem vor, der so hinter seinem Schlapphut verschwindet wie Jonas Mekas. Anderen in diesem Lande verstreuten Anhängern sei verraten, daß Mekas den Film in einige Städte begleiten wird, zum Beispiel nach Berlin (kommt am 11.11). mn

„Jonas in the Desert“. Regie: Peter Sempel, Buch: Mekas/ Sempel. Mit: Mekas, Nick Cave, Stan Brakhage, Al Pacino, Allen Ginsberg u.a.