Es ist eine fremde und seltsame Welt

Hal Hartley meint, er sei „unprofessionell und ein bißchen verwirrt“. Listenplatz mit Bonus?  ■ Von Anke Westphal

Manche Berühmtheiten brauchen nur in die Ecke zu pullern, und ihr Publikum ist hingerissen. Für nicht wenige Leute ist der New Yorker Regisseur Hal Hartley so jemand. „The Unbelievable Truth“, „Trust“ und „Simple Man“ machten süchtig auf somnambule Neurotiker und verqueren Minimalismus. Auf Video gab es Hartleys Filme nicht. Ich zum Beispiel fand das gemein. „Amateur“ jedoch, den vierten und jüngsten Wurf von Hartley, wird wohl kaum jemand auf Video suchen.

New York. Ein Schnösel (Martin Donovan) liegt umnachtet in der Gosse. Eine Bleichgesichtige (Isabelle Huppert) schreibt im Coffeeshop Pornogeschichten in ihren Laptop. Klar, daß die beiden zusammenkommen müssen; das steht schon bei Freud und in Theweleits „Objektwahl“. Isabelle, die Bleiche, ist nämlich eine ehemalige Nonne und nunmehrige Möchtegernnymphomanin. Leider hatte sie noch nie Sex. Thomas, der Schnösel, ist ein Zuhälter – nur daß er unter Amnesie leidet. „Dutch money“ in der Brieftasche, er weiß nicht, woher er kommt, wer er ist und wohin er gehen soll. Isabelle jedenfalls folgt dem göttlichen Willen. Zwei seltsame Leute, die in einer seltsamen Welt treiben. Bald gesellen sich noch andere Seltsame hinzu. Sofia (Elina Lowensohn), das Ex-Groupie, die Pornoqueen und Frau des Zuhälters, was der eben nur nicht mehr weiß. Edward (Damian Young), der Steuerberater mit dem Blick eines verlorenen Gotteskindes, und zwei Profikiller. Lauter verlorene Schicksalsschiffchen auf einsamem Wasser. So seltsam wie die Leute sind die Farben und Kostüme. Darin ist der studierte Kunstmaler Hartley Spezialist. Blaues Neonlicht, künstlich-gelbe Lichthimmel über schwerer Dämmerung. Lauter Zeichenhaftes – Hopper, Venedig, New York. Sofia ist in Make-up und Bubikopf ein einziges Fake, schön wie die Maschinenpuppe Olympia aus „Hoffmanns Erzählungen“. Elina Lowensohn, die schon in „Simple Man“ auffiel, findet dafür wunderbar kleine, exakte Bewegungen.

Verschlüsselte Botschaften

Solchen seltsamen Leuten, die nicht wissen, wie sie ihr Leben ändern sollen, auch wenn sie genau das diffus beabsichtigen, müssen unbedingt seltsame Dinge zustoßen, sonst versackt die Sache erzähltechnisch. Sofia glaubt, sie habe Thomas getötet. Thomas sitzt mit null Libido in Isabelles Badewanne. Kryptische Telefonate, verschlüsselte Botschaften, Rosen und Kreuze. Die Polizisten flöten wie Betschwestern. Edmund läuft Amok. Irgendwo, wenn man nur die Tricks kennt, ist viel, viel Geld zu holen. Sofia ist nicht cool genug für den großen Deal. Keine clevere Gesellschaft, die sich da auf die Flucht begeben muß.

Hal Hartley ist ein Krimi mißlungen. Anstatt den Film lieber gleich der Verläßlichkeit von Charakterbekloppten zu überlassen, zwingt Hartley seine Protagonisten in einen bemühten Plot, in den sie nicht so recht hineinpassen. Was Hartleys letzte drei Filme so – nun ja – „entzückend“ machte, das hübsch und vor allem ökonomisch choreographierte Hartleysche Neurosenballett nämlich, fällt hier verwickelten Handlungssträngen zum Opfer. Die sind auch noch auf zu viele Filmminuten verteilt. Mit äußerst nahrhafter Musik, Stichwort PJ Harvey, wird die Erpresserstory energetisch hochgezurrt. Man geht ein bißchen mit, den Film aber rettet es nicht. Inzwischen kennt man Hartleys Vorliebe für Yo La Tengo, Sonic Youth und PJ Harvey ja ebenso gut wie seine Gags.

Man freut sich zwar wie Bolle, daß die Killer Ökonomie studiert haben, verschiedene Ausführungen von Funktelefonen vergleichen oder darüber philosophieren, daß „es hart ist, ein menschliches Wesen zu sein“. Man grient auch, wenn die anämische Huppert-Isabelle plötzlich im Domina-Dreß mit einer Bohrmaschine die Bösen erschreckt. Aber übers Ganze hält das nicht vor. Wenig Überraschungen. Selbst Isabelle Huppert ist wieder einmal ganz durchsichtige Zartheit im Trägerhemdchen – ja, einmal fällt sie sogar um vor Hunger. „Amateur“ ist ein verschenkter Film. Außerdem besteht zwischen göttlichem Willen und Zufall doch ein gewisser Unterschied.

„Amateur“. Regie: Hal Hartley, Mit Martin Donovan, Isabelle Huppert, Elina Lowensohn, Damian Young. USA, 105 Minuten