Point 'n' Click
: Weltenbau

■ Das Computerspiel „Die Siedler“

Erste Folge unserer Computerspieltestkolumne

Du warst ein eher dickliches Kind. Während andere schon verstohlen von zarter Mädchenblüte in Minirock, Nicki und Stiefeletten träumten, gab's für dich (und mich) nur Minitrix, Ministeck und Minimax. Aber am liebsten kartographierte ich imaginäre Welten auf Tapetenreste, ließ Subkontinente aus den Untiefen des Großen Diercke steigen, um sie mit Stadt, Land, Fluß, Ballungsgebieten, Industrieanlagen, Regionalverkehr zu verzieren. Eine schöne Zeit. Extra für unsereinen wurde der PC erfunden.

Auf selbigem erfreuen sich Weltenbaukasten-Computerspiele inzwischen wachsender Beliebtheit. Du schwebst als Feierabend-Demiurg im eingebildeten Zeppelin über dreidimensionales Kartenwerk und stampfst pulsierende Metropolen aus dem unberührten Boden („Sim City 2000“), überziehst Europa oder Amerika zur Gründerzeit mit einem Netz aus Eisenbahnlinien („Railroad Tycoon Deluxe“) oder würfelst gar die komplette Geschichte der Menschheit von der Erfindung des Rads bis zur Eroberung des Weltraums neu aus („Civilization“). Geil, ey? Vollelektronisches Post-Stubenhocker-Lego.

Das neuste Produkt dieses Genres nennt sich schlicht und ergreifend „Die Siedler“ (Blue Byte): Eine jungfräuliche (sic!) 3D-Landschaft aus blauen Seen, grünen Wiesen, malerischen Wäldchen, zerklüfteten Gebirgen wird mit Aufbau, Hege und Pflege eines mittelalterlichen Gemeinwesens belästigt. Am Anfang klatscht man ein neuschwansteinartiges Schloß in die Landschaft und bestimmt anschließend – alles ganz bequem per Mausklick – die Stellen, wo die Siedler siedeln, also ihre Fischerkaten, Bauernhöfe, Holzfällerhütten, Windmühlen, Erzbergwerke und was es sonst noch an vorindustriell-grundherrschaftlicher Schlüsselindustrie braucht, errichten sollen. Unverzüglich werden die ausgewählten Bauplätze durch Trampelpfade mit dem Schloß, das zugleich als Basislager fungiert, verbunden, und dann passiert's. Winzige Männlein, kaum größer als ein Stecknadelkopf, kommen aus dem Schloß geschlendert und beginnen damit, die avisierten Gebäude auch wirklich hochzuziehen, wobei es natürlich an Baumaterial (Holz, Granitgestein) nicht fehlen darf, das von anderen Männlein (leider gibt's keine Weiblein, yps!) herbeigeschafft wird.

Da die im Schloß vorhandenen Vorräte begrenzt sind, ist erste Siedlerpflicht, ökonomische Kreisläufe in Gang zu setzen. Steht beispielsweise erst einmal die Holzfällerhütte, zieht ein – richtig – Holzfällerlein ein, das sich sogleich daranmacht, die umstehenden Bäume – genau – zu fällen. Die werden dann zum hoffentlich inzwischen fertiggestellten Sägewerk transportiert, wo sie zu handlichen Brettern, die wiederum als Baumaterial Verwendung finden können, weiterverarbeitet werden. Pech nur, wenn der emsige Holzfällerwinzling alle umstehenden Bäumchen abgehackt hat: Jetzt hätte man einfach rechtzeitig dran denken müssen, auch einen Förster für die Wiederaufrüstung des Waldes anzusiedeln, womit auch dem ökologischen Aspekt Genüge getan wäre.

Man kann sich ununterbrochen sattsehen an den witzig- niedlichen Animationen, mit denen „Die Siedler“ ausgestattet ist – auf der Schweinefarm suhlt sich possierliches Borstenvieh im Schlamm, der Holzfäller schwingt wacker sein Beil, der Bauer senst lustig durchs Korn, der Metzger wetzt zufrieden das Metz. Unmittelbar hineingezogen wird man in die alltägliche Routine eines mittelalterlichen Haufendorfs. Geht es am Anfang noch eher idyllisch-geruhsam zu, kristallisiert sich im Laufe einer Spielsession die Jagd nach den stetig rarer werdenden Bodenschätzen als echtes Spannungselement heraus. Taktisches Geschick ist gefordert, denn natürlich schläft die digitale Raubritter-Konkurrenz (bis zu drei Computergegner!) beim Run auf die Ressourcen nicht. Stetige Expansion des Reiches ist somit oberste Siedlerpflicht. Es gilt, die Grenzen des Minimenschen-Großherzogtums mit Wachhütten, Wachtürmen und Fluchtburgen zu befestigen. Nach Fertigstellung werden diese automatisch mit einer Garnison Ritter bestückt, wodurch die Grenzsteine vorgeschoben werden, womit wiederum ein paar Morgen Neuland für der Siedler Lieblingsbeschäftigung gewonnen wäre.

Da der Computer vom anderen Ende der Welt hartnäckig auf einen zusiedelt, kommt es bald zu handgreiflichen Auseinandersetzungen an den Demarkationslinien. Zwar hauen die Blechkumpel auf Knopfdruck ohne Furcht und Tadel aufeinander ein, doch wer zu ungestüm und vor allem planlos vorgeht, wird sich seiner Pyrrhussiege über Sollock, den Joker im Süden des Reichs, kaum erfreuen, beginnt doch inzwischen der schreckliche Homen Doppelhorn, vom Norden her einem systematisch die Rohstoffzufuhr abzuschneiden. Geht aber zum Beispiel dem Schmied erst das Roheisen aus, bleibt der Nachschub an Waffen aus, wodurch die Ritterproduktion stagniert. Umgekehrt treten die Bergarbeiter bei unzureichender Lebensmittelversorgung in den unbefristeten Ausstand.

Letztlich – und genialerweise – hängt bei den Siedlern nämlich alles mit allem zusammen. Überblickskarten plus zahlreiche Statistik- und Options-Menüs helfen einem, die Schwachstellen des Wirtschaftskreislaufs aufzuspüren und zu beheben. Da der Siedler an sich ungern über Stock und Stein stolpert, kommt der Anlage eines ausgeklügelten Wegenetzes zentrale Bedeutung zu. Beginnen sich an einer stark frequentierten Kreuzung die Waren zu stapeln oder bleiben die zur Entsetzung einer angegriffenen Burg ausrückenden Helden im Ritterstau stecken, bricht brutale Hektik aus.

Was auf den ersten Blick so superputzig aussieht, entpuppt sich rasch als echte Herausforderung für potentielle Lummerland-Diktatoren. Aber hallo, Freunde: Kein Pardon für Alfons den Viertelvorzwölften! Ulrich Hölzer

„Die Siedler“ (Blue Byte)