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Mehr Werbung – oder nur Fernsehgebühren?

■ Auswege aus dem Finanzdilemma der beiden öffentlich-rechtlichen Sender

Über vierzig Prozent – soviel haben die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten von ihren Werbeeinnahmen verloren, seit dem unaufhaltsamen Aufstieg von RTL, SAT.1 und Pro7. Das klingt dramatisch, nach heraufziehender Katastrophe. ZDF-Intendant Dieter Stolte warnt, ceterum censeo, mindestens einmal pro Woche, ein Schuldenberg von 500 Millionen stehe seiner Anstalt bevor, sprich: der baldige Bankrott. Entsprechend giftig sind die allerorten angebotenen Heilmittel. Bayerns Ministerpräsident Stoiber hat vor kurzem vorgeschlagen, der ARD ihr Erstes Programm zu amputieren – dann bliebe mehr als genug Geld für das ZDF, in dessen Fernsehrat er sitzt. In der FDP kann man sich die Privatisierung des gesamten ZDF vorstellen, und Stolte selbst will die schnelle Mark durch noch mehr Anpassung an die Privaten machen: Nach dem Vorabend, der schon jetzt „Werberahmenprogramm“ genannt wird, sollen jetzt auch die Sendungen nach 20 Uhr zum käuferfreundlichen Umfeld werden – jedenfalls wirbt Stolte vehement für die Aufhebung des geltenden abendlichen Werbeverbots für seinen Sender.

Chancen hat allerdings keine der drei Radikalkuren, wenn (seit gestern) die Chefs der Staatskanzleien der Bundesländer über einen neuen Rundfunkstaatsvertrag verhandeln. Schließlich muß der bis zum 1. Januar 1996 von allen Bundesländern ratifiziert werden, und da kann jeder jeden blockieren (außer der FDP, natürlich).

Der Reihe nach: Werbung im öffentlich-rechtlichen Abendprogramm betrachten die Privatsender als unerwünschte Konkurrenz – ihre Geburtshelfer in der Union werden das nicht zulassen. Eine Privatisierung des ZDF würde die SPD nicht mitmachen, und die Idee, das Erste Programm einzustellen, wird gar unisono verworfen, von der IG Medien bis hin zum Bayerischen Rundfunk.

15 Prozent weniger Einnahmen? Sparen!

Geht also nichts mehr? Mitnichten. Schaut man etwas genauer auf die Finanzen von ARD und ZDF, dann zeigt sich, daß es auch andere Lösungen gibt, die das Programm nicht verschlechtern – im Gegenteil. Da das Gros ihrer Einnahmen schon immer aus den Fernsehgebühren stammte (bei der ARD mehr als beim ZDF), haben die Öffentlich-Rechtlichen zwar nahezu die Hälfte der Werbung, insgesamt aber nur knapp 15 Prozent ihrer Einnahmen verloren. Mit solchen Verlusten müssen auch Autohersteller oder Chemieunternehmen fertig werden können. Spielräume jedenfalls gibt es genug:

– Mag auch der Spruch von der „Verwaltung, die ganz gut funktionieren würde, wenn da nicht noch das Programm wäre“, nach der ersten Sparrunde übertrieben sein – immer noch sind ARD und ZDF aufgeblähte Bürokratien. Nicht nur die Manager in den superschlanken Privatsendern (wo hire sich täglich auf fire reimt) schütteln den Kopf über Geldverschwendung, überflüssige Posten in der Produktion und komplizierte Entscheidungsabläufe bei den Gebührenfinanzierten.

– Das Einkommensniveau liegt, so klagen die Landesrechnungshöfe, satt über dem des öffentlichen Dienstes. Die Kommerziellen sind die Meßlatte beim Gehalt, die Beamten bei der Altersversorgung.

– Kein Bundesland wollte bisher auf seine ARD-Anstalt verzichten (jede – unter anderem – mit einem eigenen Rundfunksinfonieorchester ...). Die Vorschläge für eine Zusammenlegung liegen seit langem auf dem Tisch: Radio Bremen, das am Tropf des Finanzausgleichs aus dem Gebührentopf hängt, könnte sich dem NDR anschließen, Saarländischer Rundfunk, SWF und SDR könnten eine Einheit bilden; der seit langem skandalös wirtschaftende SFB sollte sich dem vorbildlich unbürokratischen ORB Brandenburg anschließen.

– Und weiter: Braucht die vom Bundesverfassungsgericht garantierte mediale „Grundversorgung“ der Bevölkerung über 50 gebührenfinanzierte Rundfunkprogramme? Darunter nicht wenige, die sich von den privaten Dudelfunkern in nichts mehr unterscheiden?

– Zwei Milliarden Mark gehen jährlich in die dritten Fernsehprogramme. Vollprogramme sind sie längst nicht mehr, recyceln sie doch großenteils die gleichen Filme und Serien. Warum dann nicht ehrlich: ein einziges drittes Programm bundesweit, mit ausgedehnten „Fenstern“ für regionale Sendungen?

Werbefreies TV kostet 2,50 Mark mehr im Monat

Da das ZDF nur 30 Prozent der Gebühren erhält, war es traditionell viel stärker als die ARD-Sender auf Werbeeinnahmen angewiesen – die jetzt nur noch tröpfeln. Im letzten Jahr nahmen die Mainzer netto gerade noch 373 Millionen mit ihren Fernsehspots ein, die ARD 436 Millionen. Bei insgesamt rund 5 Milliarden Mark Fernsehgebühren (ohne den Hörfunk) sind das nur noch gut 15 Prozent der Gesamteinnahmen. Und der Trend ist ungebrochen: Von Januar bis September nahmen die Öffentlich-Rechtlichen noch einmal 5,5 Prozent weniger für Werbung ein als ein Jahr zuvor. Warum dann nicht gleich ein von störenden Werbespots freies Programm? 15 Prozent mehr TV-Gebühr (bisher 15,55 DM) würden diejenigen, die erst anmelden und dann einschalten, etwa zusätzliche 2,50 Mark kosten. NRW-Ministerpäsident Johannes Rau, nebenamtlich Chef des ZDF-Verwaltungsrats, dagegen prognostiziert einen „zweistelligen“ DM-Betrag, um den die Gebühren dann zum 1. Januar 1979 steigen müßten. Wie er darauf kommt, bleibt sein Geheimnis. Es sei denn, er hält gleichzeitiges Sparen für unzumutbar und hat die Inflation einfach dazuaddiert ...

Ein werbefreies Erstes und Zweites Programm müßten und würden zwar weiterhin auch nach Quoten schielen – ausgesprochene Minderheitenprogramme gäben keine Legitimation für allgemeine Gebühren mehr her. Doch ohne den täglichen Wettlauf um die jüngsten und kaufkräftigsten Zuschauer, den die Werbekunden heute schon im Vorabendprogramm erzwingen, könnten die beiden großen Programme sich wieder auf das Publikum, von jung bis alt, von intellektuell-anspruchsvoll bis unterhaltungsbedürftig, konzentrieren. Die einzige Alternative hat RTL-Chef Thoma längst auf den Weg gebracht. Konsequent nennt er seinen Sender ein „Transportunternehmen“ zwischen Werbetreibenden und Zuschauern. Michael Rediske

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