„Ein neues Projekt der Nation“

■ Mexikos Oppositionsbündnis hat seine Basis verbreitert / Zapatistenguerilla ist nur noch einfaches Mitglied

Mexiko-Stadt (taz) – Als am Dienstag nachmittag in Mexiko- Stadt das zweite große Treffen der Nationalen Demokratischen Konvention (CND) zu Ende ging, schien eines klar: Was sich vor genau drei Monaten auf Einladung der Zapatistenguerilla EZLN im lacandonischen Regenwald gegründet hatte, ist dabei, sich als breites und völlig neuartiges Oppositionsbündnis zu konsolidieren.

Kein Zweifel, mit 1.500 Delegierten war das zweite Treffen kleiner als das erste. Aber im Unterschied zu damals, wo unzählige Zaungäste und Beobachter der symbolträchtigen Veranstaltung beigewohnt hatten, repräsentieren die Delegierten inzwischen „eine breitere und realere soziale Basis“, erklärt Paulina Fernández. Im neugewählten Vorstand sind jetzt auch so gut wie alle sozialen Bewegungen vertreten: unabhängige Arbeiter-, Indianer- und Bauernorganisationen, Studenten, Künstler und Intellektuelle, Frauen, Menschenrechtler und Umweltschützer.

Nachdem die Delegierten in der chiapanekischen Hauptstadt Tuxla Gutierrez drei Tage lang über Programme, Aktionen und die interne Demokratisierung diskutiert hatten, sollte der symbolische Schlußpunkt im Herzen der Republik gesetzt werden. Direkt vor dem Regierungspalast versammelten sich zur Mittagsstunde die CND-Mitglieder und Sympathisanten um die gigantische Nationalflagge – vor fast genau zehn Monaten hatten hier 100.000 Menschen für den Stopp der Bombardierung chiapanekischer Dörfer demonstriert. Gleich zu Beginn berichtete die Veteranin Rosario Ibarra, als Abgeordnete der linken PRD eine von mehreren CND-ParlamentarierInnen, aus dieser „schrecklichen Höhle“, dem Abgeordnetenhaus. Dort hatte just am gleichen Tag die PRI- Mehrheit erwartungsgemäß die Augustwahlen abgesegnet und den Kandidaten der ewigen Regierungspartei PRI, Ernesto Zedillo, zum rechtmäßigen Präsidenten deklariert. „Eine Schande!“ rief Rosario empört. „Wir wollen sehen, ob er es wagt, sein Amt auch wirklich anzutreten!“ Die CND jedenfalls will die Amtsübergabe am 1. Dezember mit einem „Bürgeraufstand“ begleiten.

Aber es geht der mexikanischen Aufbruchsbewegung nicht mehr nur darum, die PRI zu stürzen, sondern um ein „neues Projekt der Nation“. Deshalb spricht sich die Konvention in ihrem Schlußdokument gegen den Freihandelsvertrag (Nafta) mit den USA, gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik und gegen das Abstottern der Außenschulden aus. Neben der noch recht allgemein gehaltenen Wunschliste, die vom Recht auf gutbezahlte Arbeit bis zur kostenlosen Gesundheitsversorgung reicht, stehen auch konkrete Aktionen: von der Volksabstimmung über den „Mißbrauch“ der Nationalfarben im PRI-Emblem bis zur dauerhaften Lebensmittelversorgung der von der Armee eingekesselten Regenwaldbewohner.

Die Landespresse verfolgte die CND aufmerksam – mit Berichten über Spaltungen und Austritte. „Alles Lüge“, kommentiert ein CND-Sprecher. Aber deutliche Unterschiede zeigen sich tatsächlich, etwa in der Beurteilung der Gouverneurswahlen in Chiapas, die offiziell vom PRI-Kandidaten Eduardo Robledo gewonnen wurden. Während Teile der CND die Anerkennung des PRD-Kandidaten Amado Avendaño als „legitimen Gouverneur“ fordern, plädieren andere zunächst nur für eine Annullierung der Wahlen. Das allerdings muß kein Widerspruch sein, meint Paulina Fernández vom neuen CND-Vorstand: „Aufgrund der vielen Betrügereien ist es unmöglich, den wirklichen Wahlgewinner zu bestimmen – also auch nicht Avendaño. Die CND will eine Übergangsregierung unter seinem Vorsitz, die dann ein neues Wahlgesetz ausarbeiten soll. Denn einfach den Prozeß unter den alten Bedingungen zu wiederholen, wäre absurd.“ Für den 8. Dezember, den Tag des geplanten Antrittes des PRI-Gouverneurs Robledo, ist ein landesweiter Bürgerstreik geplant. Und Amado Avendaño hat angekündigt, man werde an diesem Tag „die Demokratie in die eigene Hand nehmen“ und den Gouverneurspalast besetzen.

Um die unmittelbare Kriegsgefahr zu entschärfen, begannen CND-Mitglieder schon vor Tagen mit der Errichtung von „Friedenscamps“ im Niemandsland zwischen Guerilla und Armee. Sie fordern den Abzug der Streitkräfte und die Wiederaufnahme eines „authentischen Dialogs“ mit der Guerilla. Anne Huffschmid

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