„Paßt nicht zu unserer Kultur“

■ Im wahlkämpfenden Frankreich wächst die Euroskepsis

Paris (taz) – Zwei Monate hat es gedauert, bis die CDU/CSU einen Emissär nach Paris schickte, um ihre neuen europapolitischen Thesen persönlich zu vertreten. Als der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion in dieser Woche schließlich anreiste, war es zu spät für eine sachliche Diskussion: Karl Lamers traf bei den wichtigsten Partnern Bonns vor allem auf Unsicherheit und Uneinigkeit.

In Frankreich hat der Präsidentschaftswahlkampf begonnen und mit ihm eine Rückbesinnung auf nationalistische und anti-europäische Ressentiments. Der erste offizielle Kandidat aus dem konservativen Lager, Jacques Chirac, machte sofort klar, daß er als Präsident im Jahr 1997 ein neues Europa-Referendum abhalten werde. Von dessen Ausgang soll die europäische Währungsunion abhängen. Der in den Maastricht-Verträgen vereinbarte und mühsam abgesegnete Einigungsprozeß wäre damit unterbrochen.

Entgegengesetzter könnte die Entwicklung in Paris und Bonn nicht verlaufen: Die bundesdeutschen Konservativen hatten ihre heiße Wahlkampfphase im September mit einem pro-europäischen, föderalistischen Papier eröffnet. Der Vorschlag: ein „Kerneuropa“, das nur Deutschland, Frankreich und die drei Benelux- Staaten einschließt. Die französischen Konservativen hingegen sind seit Jahren in „Pro- und Anti- EuropäerInnen“ gespalten und keinesfalls in der Lage ein gemeinsames Programm aufzustellen.

Schon das Referendum über die Maastricht-Verträge im September 1992 zeigte mit dem knappen Ausgang von 51 Prozent Prostimmen deutlich, wie tief der Graben ist. Die traditionellen konservativen Euroskeptiker, die heute die Präsidentschaftskandidatur von Jacques Chirac unterstützen, bestritten damals ihre Kampagne mit der Angst vor französischem Souveränitätsverlust und deutscher Vorherrschaft in Europa. Chirac selbst, einst Befürworter von Maastricht, sagt heute: „Ein föderales Europa paßt nicht zu unserer Kultur.“ Die moderaten konservativen EuropolitikerInnen, zu denen neuerdings auch Regierungschef Edouard Balladur gezählt wird, stehen vor allem der Währungsunion skeptisch gegenüber.

Doch selbst die „Europhoriker“ aus dem ebenfalls mitregierenden Christlich-Sozialen Zentrum (CDS) und der konservativ-liberalen UDF sind nicht mit allen Vorschlägen ihrer deutschen Partner einverstanden. Zwar begrüßten sie die „brutale Klarheit“ des deutschen Papiers, das immerhin eine Diskussion ausgelöst habe, aber auch sie zeigten Lamers ihre Vorbehalte gegen eine „europäische Regierung“ und eine Aufwertung des europäischen Parlamentes. Bei manchen französischen Konservativen sorgte schon die Tatsache für Irritationen, daß aus Deutschland überhaupt ein richtungsweisendes Europapapier kam. Lamers nun zeigte sich „glücklich, unter Freunden zu sein“ – und wagte es trotzdem nicht, seine „deutschen Kommentare“ zu französischen Angelegenheiten abzugeben.

In den sechs Monaten bis zur Präsidentschaftswahl, soviel ist bei dem Lamers-Besuch klargeworden, sind aus Paris keine europäischen Impulse zu erwarten – auch nicht während der im Januar beginnenden französischen Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union. Dorothea Hahn